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werden, in welchem Bereich welche Kosten
anfallen. Dies ist mit einer herkömmlichen
Gemeinkostenzuschlagskalkulation nur be-
dingt möglich. Immer komplexere Produkte,
Herstellungs- und Unternehmensstrukturen
drängten die traditionelle Gemeinkostenzu-
schlagskalkulation in die Ecke und vorgangs-
und ablauforientierte Kostenrechnungskon-
zepte wurden eingeführt.
Wissenschaftlich wurde von
Miller und Voll-
mann im Harvard Business Review 1985
(„The hidden factory“)
erstmals ein neuer
Denkanstoß gesetzt, der die kostenrechne-
rische Relevanz der indirekten Leistungsver-
rechnung in den Vordergrund stellt. Ein Ergeb-
nis der Studie ist, dass die Anzahl der ablau-
fenden Prozesse wesentlich die Gemeinkosten
der untersuchten Bereiche beeinflusst.
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Nach einer Hochphase der Prozesskostenrech-
nung und der amerikanischen Abwandlung,
des
Actitivty-Based Costing
3
, in Praxis und
Wissenschaft
Anfang und Mitte der 1990er
Jahre
, wurde es still um die Prozesskosten-
rechnung. Obwohl es verschiedene positive
Erfahrungsberichte von Unternehmen zu Pro-
zesskostenrechnungs-Projekten gibt, scheint
sich diese Art der Kostenverrechnung nicht flä-
chendeckend durchsetzen zu können.
Die
Vorteile der Prozesskostenrechnung
wie
a) die Aufdeckung von Rationalisierungs-
potenzialen,
b) das erfolgsorientierte Gemeinkosten-
management,
c) die Unterstützung strategiekonformer
Entscheidungsfindungen und
d) die verursachungsgerechte Artikelkalkulati-
on wiegen theoretisch betrachtet sehr viel.
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Dem entgegengesetzt sind
Nachteile
wie der
hohe Aufwand bei der Prozessdarstellung von
bestehenden, noch nicht abgebildeten Pro-
zessen, sowie der hohe Wartungsaufwand bei
Änderungen innerhalb der Prozesse (wie kön-
nen Lernkurven berücksichtigt werden?).
Ebenso ist durch die verstärkte Möglichkeit
der Kontrolle (nicht Controlling!) des Manage-
ments der Mitarbeiter (fast alle Prozesse sind
transparent) das Controlling gefordert, Un-
stimmigkeiten vorzubeugen. Diese Nachteile
verhinderten eine großflächige Verbreitung
der Prozesskostenrechnung in den 1990er
Jahren wesentlich.
Pünktlich zur neuerlichen
Krise 2008/2009
wird
nun wieder verstärkt an „Kosten“ und
deren „Verursacher“ gedacht
. Da auf der
Seite der Erträge „nichts geht“, müssen die
Kosten besser analysier t werden. Die Pro-
zesskostenrechnung ist dazu ein gutes Mittel,
dies zu bewerkstelligen. Doch was kann den
Nachteilen und Bedenken entgegengesetzt
werden und welche Möglichkeiten gibt es, die
Prozesskostenrechnung besser zu verwenden
und damit nachhaltig zu etablieren?
Die Einführung der Prozesskostenrechnung ist
somit in einem Unternehmen interessant, in
dem schon genau definierte Prozesse vorhan-
den sind und damit keine großen Aufwen-
dungen für die Einführung erforderlich wären.
Ebenso müssen die von den Mitarbeitern
durchgeführten Prozesse bereits transparent
zugänglich sein, das heißt, dass es ohnedies
üblich ist, die durchgeführten Prozesse zu ana-
lysieren. Die Bedenken der Belegschaft können
somit verringert bzw. vermieden werden.
Logistikunternehmen eignen sich sehr gut
für die Einführung der Prozesskostenrech-
nung
, da im Wesentlichen die oben genannten
positiven Aspekte beibehalten und die nega-
tiven vermindert werden. In den folgenden Aus-
führungen wird zuerst das theoretische Konzept
der Prozesskostenrechnung beleuchtet und im
Anschluss die Einführung einer Prozesskosten-
rechnung in einem Handelsunternehmen be-
schrieben.
Theoretische Betrachtung der
Prozesskostenrechnung
Ein Anstieg der indirekten Leistungsbereiche
machte es notwendig, Transparenz auf der Pro-
zessebene der indirekten Leistungsbereiche zu
schaffen. Die erreichte Transparenz, mit Hilfe
einer Prozesskostenrechnung, ermöglicht, ent-
stehende Kosten verursachungsgerecht auf Ko-
stenträger zu verteilen.
Ziele der Prozessko-
stenrechnung sind:
➡
Kostentransparenz für indirekten Leistungs-
bereiche
➡
Verursachungsgerechte Kalkulation
➡
Effiziente Planung, Verrechnung und Kon-
trolle der indirekten Leistungsbereiche
Für die Einführung der Prozesskostenrechnung
sind folgende Schritte notwendig:
(1) Prozessanalyse,
(2) Bezugsgrößenwahl,
(3) Verdichtung zu Hauptprozessen,
(4) Prozesskostenerfassung und
(5) Kostenträgerrechnung bzw. Wirtschaftlich-
keitskontrolle (siehe dazu auch Abbildung 1).
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Erstens, in der Prozessanalyse werden die
Ar-
beitsschritte,
die für das Erreichen eines Pro-
zesszieles notwendig sind erhoben. Zweitens
wird versucht dieses Prozessziel über eine
Be-
zugsgröße
abzubilden. Ein Beispiel wäre in der
Unternehmenslogisik die Anzahl der zu entla-
denden Paletten, welche die LKW-Entladungs-
zeit maßgeblich bestimmt. Drittens, um die ein-
zelnen Prozesse übersichtlich darstellen zu
können, werden Einzelprozesse zu Hauptpro-
zessen zusammengefasst. Im vierten Schritt
werden die
Prozessschritte mit Kosten hin-
terlegt;
und damit können, fünftens, die be-
rechneten
Werte
für die Kostenträgerrechnung
respektive für die Wirtschaftlichkeitskontrolle
herangezogen werden.
Die beschriebenen Schritte stellen einen nicht
unerheblichen Aufwand dar, um eine Pro-
zesskostenrechnung zu ermöglichen. Dieser
erhöhte administrative Einsatz, verglichen mit
herkömmlichen Kostenrechnungssystemen,
Abb. 1: Der Prozesse zur Einführung einer
Prozesskostenrechnung
Akzeptanz der Prozesskostenrechnung bei Logistikprozessen
Accenture-interne Verwendung