Seite 7 - CONTROLLER_Magazin_2012_01

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ein Controller, der für eine Organisationseinheit
ein Problem mit dem Forderungsbestand iden-
tifiziert hat, einen
Verbesserungsworkshop
mit dem kontinuierlichen Verbesserungs-
programm (KVP) aufsetzen
, z. B. Six Sigma.
Der Controller übergibt dann den Staffelstab an
den Six Sigma-Manager. Er bearbeitet mit einer
sehr strukturierten Problemlösungsmethode
das vom Controller aufgezeigte Problem.
Biel:
Change Management bzw. Veränderungs-
management ist eigentlich nichts grundsätzlich
Neues, aber die Bedeutung und Dringlichkeit
scheinen zu wachsen. Was ist neu, was ist
anders geworden?
Sandt:
Nichts ist so konstant wie die Verän-
derung – für diesen Satz müsste man in einer
anderen Gesprächsrunde 5 € in das Phrasen-
schwein einzahlen. Aber immer deutlicher
wird,
dass aufgrund der globalen und ver-
netzten (Wirtschafts-)Welt die Anzahl so-
genannter disruptiver Veränderungen zu-
genommen hat,
d. h. eine bestehende Tech-
nologie, ein bestehendes Produkt oder eine
bestehende Dienstleistung wird möglicher-
weise vollständig verdrängt. Denken Sie nur
an die Auswirkungen der Atomkatastrophe in
Japan für deutsche Unternehmen, die Verän-
derungen im Computer- und Mobiltelefon-
markt durch die Produktinnovationen von
Apple.
Biel:
Bei einer solchen Dynamik ist es wohl von
fast existenzieller Bedeutung, die erforderlichen
Veränderungsprozesse erfolgreich umzusetzen
– und dies ohne den laufenden Betrieb zu belas-
ten. Wie kann dies gelingen? Brauchen die Un-
ternehmen in den dynamischen Veränderungs-
prozessen nicht auch eine gewisse Stabilität?
Wie lassen sich Stabilität und Veränderung
ausbalancieren?
Sandt:
Ja, die Balance und deren Management
sind wichtig.
In der Organisationstheorie gibt
es hierfür den Begriff der „beidhändigen
(ambidextrous)“ Organisation – die Balance
zwischen „exploitation“ und „exploration“
bzw. Effizienz des bestehenden Geschäfts-
modells und Innovation.
Diese Balance her-
zustellen ist alles andere als leicht, aber wie
sagen Führungskräfte gerne: „Einfach kann
jeder.“
Biel:
Gibt es eine Methodik, die hierbei hilfreich
und nützlich ist?
Sandt:
Um die Mitarbeiter bei Veränderungen
mitzunehmen, hilft ein einfaches Phasenmo-
dell. Es wurde bereits Ende der vierziger Jahre
des letzten Jahrhunderts von
Kurt Lewin
entwickelt:
Unfreeze – move (change) – re-
freeze.
In der ersten Phase „Unfreeze“ wer-
den die bestehenden Denk- und Handlungs-
muster aufgebrochen und die Notwendigkeit
der Veränderung erarbeitet. Die zweite Phase
„Move/Change“ stellt die eigentliche Verände-
rung beziehungsweise Implementierung dar.
Die dritte Phase „Refreeze“ fokussiert darauf,
die Veränderungen zu stabilisieren und zu in-
stitutionalisieren. Ein Rückfall in alte Routinen
soll verhindert werden.
D. h., bevor man – vor allem radikale – Ver-
änderungen angeht, sollten die Mitarbeiter
angemessen vorbereitet werden.
Später gilt
es, die Veränderung zu institutionalisieren oder
– wie Sie es genannt haben – zu stabilisieren.
Zu diesem generischen Drei-Phasenmodell gibt
es differenzierendere Aspekte, auf die ich hier
aus Zeitgründen nicht näher eingehen möchte.
Das Drei-Phasenmodell ist einfach, aber hier
gilt (leider):
„Common sense“ ist nicht „com-
mon practice“.
Biel:
Was sagt Ihre Praxiserfahrung?
Sandt:
Kürzlich erlebte ich wieder in einem
MDAX-Konzern, dass erst nach der Reorgani-
sation Workshops organisiert wurden, um
den Unmut der Mitarbeiter aufzufangen. Die
„Unfreeze“-Phase sollte in größeren Verände-
rungsprozessen systematisch berücksichtigt
werden. Nach jeder Veränderung muss man
den geänderten Prozess auch stabilisieren.
Einige stellen die Frage: Ist nicht eine Organi-
sation möglich, die „chronically unfrozen“,
chronisch aufgetaut ist? Vielleicht gibt es
Menschen, die dies mögen und gut machen.
Aber ist das die Mehrheit?
Meiner Erfahrung nach nicht unbedingt.
Ge-
rade in Zeiten der konstanten Veränderung
benötigen Mitarbeiter stabile Anker – pri-
vat aber auch in den Unternehmen.
Ein
klares Leitbild mit eindeutig gelebten Werten –
durch die Führung – kann zu dieser geforderten
Stabilität beitragen. Zudem geht es darum, Ver-
änderungsprozesse – wenn sie denn konstant,
d. h. wiederkehrend sind – auch ansatzweise
zu strukturieren und zu standardisieren – hier
gibt es viele Beispiele, bspw. den CAP – chan-
ge accelerating process bei General Electric,
DP DHL nennt es ACT – accelerating change
technique. Daher haben einige Unternehmen
diese Methoden und Vorgehensweisen nicht
nur strukturiert und standardisiert, sondern
auch eine Organisationseinheit geschaffen. Sie
soll die Anwendung der Strukturen und Stan-
dards sicherstellen.
Ein Beispiel sind die hoch strukturierten konti-
nuierlichen Verbesserungsprozesse gemäß Six
Sigma mit Vollzeit-Spezialisten, sogenannten
Black Belts und Master Black Belts. Sie beherr-
schen die Methoden und wenden sie mit Ver-
tretern der Fachabteilungen für (vom Control-
ler?) identifizierte Problembereiche an. Ein wei-
teres Beispiel ist OPEX bei Evonik Degussa,
eingerichtet, um an allen Standorten des Kon-
zerns in über 100 Ländern die operative Exzel-
lenz zu fördern. Aus einer ursprünglich nur vo-
rübergehend geplanten Organisationseinheit
wurde aufgrund des Erfolgs eine dauerhafte.
Übrigens: Im OPEX-Team sind auch Controller
(bewusst) vertreten. OPEX dient u. a. auch als
Mittler zwischen dem finanzorientierten Kon-
zerncontrolling und den operativen dezentralen
Einheiten. Es hilf den operativen Einheiten kon-
kret, die Ampeln auf Grün zu schalten.
Biel:
An dieser Stelle sollten wir Six Sigma kurz
definieren.
Sandt:
Six Sigma
ist ein statistisches Quali-
tätsziel und zugleich eine Methode des Quali-
tätsmanagements bzw. ein hoch strukturierter
kontinuierlicher Verbesserungsprozess. Ihr Ker-
nelement ist die
Beschreibung, Messung,
Analyse, Verbesserung und Überwachung
von Geschäftsvorgängen mit zahlreichen
und vielfältigen Methoden.
Die Ziele orientie-
ren sich an finanzwir tschaf tlich wichtigen
Kennzahlen des Unternehmens und an Kun-
denbedürfnissen. Insofern besteht auch eine
Verwandtschaft zu den Methoden der Con-
troller.
Biel:
Gut gemanagte Veränderungsprozesse
sind offenbar ein entscheidender Stellhebel für
CM Januar / Februar 2012
Accenture-interne Verwendung