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heute verwendet wird, ein ökonomistisch
stark eindimensionaler Ausdruck
, rein von
Rentabilitätsprinzipien bestimmt. Die gängige
Produktivitätsdefinition vermischt dabei die Ka-
tegorien, indem sie Produktivitätserhöhung
gleichsetzt mit dem Produzieren von Gütern
unter vermindertem Einsatz von Arbeitszeit –
oder das vermehrte Produzieren bei gleichem
Arbeitszeitvolumen. Einher geht damit die fak-
tische Konsequenz, dass die Wertgröße, also
das Maß für die im Produktionsprozess einge-
brachte Arbeitszeit zur Herstellung des Pro-
duktes, damit sinkt. Folglich heißt es in der
marktwirtschaftlichen Logik, je produktiver
ich eine Ware herstellen will, desto weniger
Arbeitszeit darf in ihr stecken. Bei einer Dienst-
leistung, die in der Regel immateriellen Charak-
ter hat, und somit nur aus Arbeitszeit besteht,
bedeutet dies, dass es weniger Dienstleistung
gibt.
Maßvolles Messen – Komplexität
kann nicht trivial gemessen werden
Dienstleistungen gehören, ökonomistisch ge-
sprochen, zum
„Leistungsverhalten“ der
Mitarbeiter und
gleichzeitig, und dies ist das
komplexe an der Sache,
zum Bewertungsver-
halten der Kunden
. Bei dem „Leistungsver-
halten“ der Mitarbeiter und dessen Einfluss auf
den Unternehmenserfolg gibt es noch weitrei-
chende Probleme der Zurechenbarkeit und des
Wirkungszusammenhangs. Ebenso sind quan-
tifizierbare Größen zur Messung der Zielerrei-
chung im Unternehmen nicht immer unmittel-
bar herstellbar, und die Einflüsse auf das Ver-
halten von Mitarbeitern können ebenfalls nicht
quantitativ erfasst werden.
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Um das Ziel einer Bewertung von Dienstleis-
tungsproduktivität zu erlangen, ist ein anderes
Messverfahren zu etablieren, mit anderen Mess-
zielen, als es die
„...nachlaufenden Indikatoren,
die über die Vergangenheit berichten...“
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tradi-
tioneller Messverfahren tun. Es ist hierbei zu
bedenken, dass Messverfahren, also Bewer-
tungen, immer auf Werten basieren. Diese Be-
wertungen sind letztlich Ausdruck von individu-
ellen Zielen, Interessen, Motivationen. Nicht
Einzelne können messen, sondern die Kriterien
für Bewertungen, Messungen müssen gemein-
sam entwickelt werden. Gerade bei der Frage
nach der Bewertbarkeit von Dienstleistungs-
produktivität ist es unumgänglich, dass dies in
einem kooperativen Rahmen geschieht. Ob
eine Dienstleistung „produktiver“ ist und was
das bedeutet, kann nicht eindimensional be-
wertet werden. Hierzu müssen kommunikative
Verfahren der Bewertung angewendet, bezie-
hungsweise weiterentwickelt werden.
Um Dienstleistungsproduktivitäten zu messen,
ist eine
Orientierung an dem Verfahren der
„Balanced Scorecard“ (BSC) vielleicht am
ehesten geeignet
, „messbare“ Wege zu ge-
hen. Die BSC ist ein Verfahren, welches das
Umsetzen von Zielsetzungen des Unterneh-
mens auf die handhabbare, praktische Ebene
unterstützt.
Dafür müssen in einem Unter-
nehmen allerdings auch Zielsetzungen vor-
handen sein.
Es müssen Entscheidungen im
Unternehmen getroffen werden, deren Umset-
zung mithilfe der BSC realisiert werden kann.
Absicht ist es, insbesondere die weichen Fak-
toren zur Zielerreichung adäquat in den Prozess
zu integrieren und so deren Signifikanz zu erhö-
hen. Um also Produktivitätserhöhung von
Dienstleistungen im Unternehmen zu messen,
müsste erst einmal im jeweiligen Unternehmen
dargelegt werden, aus welcher Perspektive
diese Produktivitätserhöhung denn gemessen
werden soll.
Mit der Anwendung der BSC wird aus minde-
stens vier verschiedenen Blickwinkeln die Ent-
wicklung des Unternehmens beurteilt. So aus
der Finanz-, der Kunden-, der internen Prozess-
perspektive und der Lern- und Entwicklungs-
perspektive. Je nach Perspektivenwahl werden
in den Bereichen jeweils Zielsetzungen aus der
allgemeinen Entwicklungsperspektive des Un-
ternehmens definiert. Allgemein wird empfoh-
len, nicht mehr als ungefähr 20 Entwicklungs-
ziele im Unternehmen anzusteuern, um eine
handhabbare Umsetzungsweise realisieren zu
können.
Die Erfinder der BSC, Kaplan/Nor-
ton, weisen darauf hin, dass für jede Unter-
nehmung eine eigene BSC entwickelt wer-
den muss, um den jeweiligen Besonder-
heiten Rechnung tragen zu können.
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Die BSC wird aufgrund formulierter Teilziele aus
den Entwicklungszielen eines Unternehmens
gestaltet. Wichtig ist es dabei, und das ver-
nachlässigt die BSC unserer Perspektive nach,
auf den Entstehungs- und Anwendungszusam-
menhang von Bewertungen zu achten.
Hinter
Bewertungen stehen immer Werte, und die
werden von Menschen gebildet.
Die maß-
geblichen Werthaltungen in einem Unterneh-
men sind meistens diejenigen, die aus der
Leitungsebene definiert werden. Ob allerdings
diese Werthaltungen von allen ohne weiteres
geteilt werden und – insbesondere auch von
den Kunden – ist meistens sehr fraglich. Hier
wird bei dem Versuch, differenziertes Messen
im Unternehmen zu realisieren, oft zu wenig
auf die Etablierung eines Dialogprozesses
geachtet.
Fortgeschrittene Messverfahren kommen
nicht umhin, die Begründungen des Mes-
sens mit denjenigen zu erarbeiten, die an
diesen Messverfahren aktiv oder passiv
Autoren
Prof. Dr. Gustav Bergmann
ist Inhaber des Lehrstuhls für Innovations- und Kompetenz-
management an der Universität Siegen.
Mag. Jürgen Daub
ist Sozialforscher, Systemprozessbegleiter sowie Mitglied im
Forschungsteam von Prof. Dr. Gustav Bergmann an der Uni-
versität Siegen.
E-Mail:
Dienstleistungsproduktivität – Vom Messen des Unmessbaren
Accenture-interne Verwendung