Seite 19 - CONTROLLER_Magazin_2012_01

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Zweien beginnt die Wahrheit“
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; dieses Zitat
weist auf die außerordentlich wichtige Rolle der
Kommunikation bei der „Wahrheitsfindung“ hin.
Die Relationalität von Wahrheit begründet zu-
gleich die schon von Schopenhauer abge-
lehnte Vorstellung, dass nur ich wirklich exi-
stiere.
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Wahrheit ist das Aushandeln eines
Konsenses mit Anderen
.
Wenn wir etwas quantitativ messen, so messen
wir immer nur einen vergangenheitsbezogenen
Zustand, der eine Momentaufnahme ist und
von dem im Zuge quantitativer Messverfahren
nichts darüber ausgesagt wird, wie er entstan-
den ist, welche Zukunftserwartungen vorliegen
und in welchem Kontext die Messung erfolgt
ist. Der Status quo der Messung ist eine Mo-
mentaufnahme, die schon bald veraltet sein
kann.
Im Rahmen der Messung von Dienstleistungs-
produktivität stellt sich nun die Frage, welche
Indikatoren zur Messung herangezogen werden
sollen.
Dienstleistungsproduktivität ist
mehr als nur die Erhöhung des ROI oder die
Messung von Kundenzufriedenheit mit
Likert-Skalen.
Gerade Stauss/Bruhn verwei-
sen zu Recht darauf,
„...dass eine externe Ser-
viceorientierung nur erreichbar ist, wenn sie im
Unternehmen durch eine interne Serviceorien-
tierung ergänzt und gestützt wird...“
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Dies ist ein
deutlicher Hinweis auf den Kontext – und dieser
ist bei einer Messung der Dienstleistungspro-
duktivität, aus unserer Perspektive betrachtet,
zu berücksichtigen.
Insbesondere in der güterproduzierenden Wirt-
schaft geht der Trend hin zu zwei verschiede-
nen Wegen der Dienstleistungsproduktion. Ei-
nerseits wird Dienstleistung additiv zu einem
physischen Produkt gesehen, sozusagen als
Rentabilitätsergänzung, oder aber es wird
Dienstleistung als „Problemlösungskom-
petenz“
begriffen, als eine ganzheitlich orien-
tierte Produktionsstrategie.
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Sowohl die eine als
auch die andere Variante aktueller Differenzie-
rungen von Dienstleistungen sehen wir verbun-
den mit der relationalen Zuschreibung von
Dienstleistungsproduktivität.
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Dies bedeutet,
dass Dienstleistungsproduktivität ein Produkt
aus Wirtschaftlichkeitsfaktoren und der Zu-
schreibung von Dienstleistungskompetenz sei-
tens der Kunden ist. Dienstleistungen sind nur
dann „produktiv“, wenn sie einen Nutzen aus
Sicht des Kunden haben.
Dieser Nutzen ist
auch aus Kundensicht nicht direkt monetär
messbar.
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Produktivitätsmessungen im Dienstleistungs-
bereich sind, nach unserer Sichtweise, Mes-
sungen im Kultursystem eines Unternehmens
oder einer Organisation, die den Indikatoren
ökonomischer Relevanz unterliegen. Zwei Be-
reiche, die keine unmittelbare Berührung im
sozialen System Unternehmen haben. Die kul-
turelle Kommunikation im System funktioniert
aufgrund anderer Differenzbildungsprozesse
als die ökonomische Kommunikation.
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Bei her-
kömmlichen ökonomischen Produktivitätsmes-
sungen sind hingegen in der Regel drei Leis-
tungsindikatoren ausschlaggebend:
Wirt-
schaftlichkeit, Effizienz und Effektivität.
Wir tschaf tlichkeit bedeutet hier Kostenbe-
wusstsein, Effizienz die Verwandlung des Grads
des Inputs zum Output und Effektivität ist Maß
der Wirksamkeit, in welchem die Outputs das
Ziel treffen.
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Bei dem Versuch, Dienstleistungs-
produktivitäten zu ermitteln, bewegt man sich,
so die Diskussion in diesem Bereich, auf die
Produktivitätsmessung im ökonomischen Sinne
zu. Doch Dienstleistungsproduktivität ist mehr
als nur die Erhöhung des Outputs sowohl auf
der Seite der Effizienz als auch auf Seiten der
Effektivität.
Dienstleistungsorientierung wird in der wissen-
schaftlichen Diskussion in
“Persönliche Dienst-
leistungsorientierung“ und „Organisationale
Dienstleistungsorientierung“
unterschieden.
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Aus systemischer Sichtweise ist es schwer, die-
se Trennung aufrecht zu erhalten. Systemisch
gesehen spielen die Dispositionen von Per-
sonen (Psychische Systeme in der Sprache der
Systemtheorie) keine Rolle für die Kommunika-
tionsregeln des Systems. Allerdings sind „Sozi-
ale Systeme“ auf die Mitwirkung von „Psy-
chischen Systemen“ angewiesen, um ihre
Kommunikation zu realisieren. Indes handeln
Personen in Systemen nicht als Einzelne, son-
dern systemisch koordiniert, das heißt, das
Handeln ist weitgehend unabhängig von indivi-
duellen Handlungspräferenzen, beziehungswei-
se diese mischen sich so untrennbar mit den
„institutionalisierten Entscheidungsregeln“ des
Systems, sodass sie so gut wie nicht mehr zu
trennen sind.
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„Kommunikation bedeutet im-
mer beides: Handeln und Erleben, und seither
hat man immer die Wahl, ob man an die Wahr-
nehmung des Handelns oder des Erlebens des
anderen anschließt (Luhmann 1981).“
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Für die Bewertung der zu messenden Dienstleis-
tungsproduktivität hat dies folgenreiche Kon-
sequenzen.
Wenn Dienstleistungsprodukti-
vität nur heißen soll, dass sich die ökono-
mische Effizienz erhöht, der Grad von Input
zu Output, so wäre dies eine Verengung
des Begriffs auf rein ökonomische Wert-
schöpfung.
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Die etymologische Wurzel des
Wortes „produzieren“ verweist aber im Latei-
nischen allgemein auf „hervorführen, hervor-
bringen“, also auf eine durchaus kreative Hand-
lung. In der semantischen Entwicklung des
Begriffs wird Produktivität im Bereich des ma-
teriellen Arbeitsprozesses mit Effizienz gleich-
gesetzt. Im heutigen Gebrauch des Begriffes
wird allgemein Produktivität gleichgestellt mit
Rentabilität, also der Erhöhung des Gewinns. In
diesem Sinne fand schon Max Weber den Be-
griff als einseitig und er empfahl, man soll ihn
„...in den Orkus werfen, wohin er gehört.“
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Ein
anderer bedeutender Soziologe, Werner Som-
bart, verbannte den Begriff Produktivität gar
aus der Wissenschaft und hielt ihn für einen
metaphysischen Terminus.
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In der auf Rentabilität verkürzten Version
des Begriffs Produktivität kommen dann
auch heute noch geltende Unsinnigkeiten
vor, wie das Verhältnis von produktiver zu
unproduktiver Arbeit.
Produktiv ist Arbeit,
entsprechend dem eingeschränkten Verständ-
nis von Produktivität dann, wenn sie der Wert-
schöpfungsmaxime unterliegt. So ist beispiels-
weise die Entstehung von Beethovens Sinfonien
unproduktive Arbeit, die Herstellung von Mülltü-
ten dagegen ist als produktive Arbeit anzuse-
hen. An der maßgeblichen Verbindung des Pro-
duktivitätsbegriffs mit dem Rentabilitätsdenken
krankt die ganze Produktivitätsdebatte. Die
Frage nach der Sinnhaftigkeit von Produktivität
wird nur insofern zugelassen, wie sie die öko-
nomische Wertgenerierung berührt. So wird
beispielsweise Freundlichkeit gegenüber den
Kunden nur dann als „sinnvoll“ erachtet, wenn
dies letztlich die Rentabilität steigert.
Der Produktivitätsbegriff ist, und dieses
sollte sich klar gemacht werden, so wie er
CM Januar / Februar 2012
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