Abb. 6: Praxisbeispiele für entkoppelte Vertriebsplanung
Praxisbeispiel Entkoppelter Pla–
nungsprozess: Problemdiskussion
Offensichtlich sind die Planungsprozesse im
Praxisbeispiel entkoppelt: Die Ergebnisse des
aufwendigen Bottom-Up-Forecastings, die mit
genügend Vorlaufzeit für die Supply Chain
durchgeführt wird, fließen nicht in die Produk–
tionsplanung ein. Aufgrund des Planungshori–
zonts vieler Kunden wird hier in der Regel ein
Jahr im voraus geplant. In Gegenrichtung zu
diesem nachfrageorientierten Pull-Prozess
existiert ja der (aufgrund der Hoheit über die
Produktion) dominante Push-Prozess. Dadurch
kommt es zu den zwei typischen Problemen ei–
ner fehlerhaften Vertriebsplanung (s. Abb. 5):
- Unterbestände:
Das Hauptproblem im Pra–
xisbeispiel besteht darin, dass aus Angst vor
Überbeständen bei kurzen Produktlebens–
zyklen in der Regel zu wenig produziert wird.
Dies führt zu ständigen Verteilungskämpfen
auf Kunden- und Länderebene um die knap–
pe Ware. Die Zuteilungen durch die Region
an die Länder erscheinen oft willkürlich und
reichen nicht aus, die Kundenwünsche zu
bedienen. Dies ist besonders ärgerlich, da
die Kunden in der Regel in das Bottom-
Up-Forecasting mit einbezogen werden
(Planung von Aktionen; Planung von Kata–
logen im Versandhandel). Dies führt zu sin–
kender Kundenzufriedenheit und in einigen
Fällen auch zur Zahlung von Konventional–
strafen. Auch auf Preisebene lässt sich auf–
grund der fixen Schwellenpreise und stu–
figen Preiselastizitätskurve (s. Abb. 2) in der
Regel kein Kapital aus dem Warenmangel
ziehen - der Kunde ist nicht bereit, für ein
Produkt mit festgelegten Spezifikationen
mehr zu bezahlen, nur um mehr Ware zu er–
halten.
Überbestände: Ein selteneres, aber bei
Auftreten umso gravierenderes Problem be–
steht, wenn in Ausnahmefällen Produkte
aufgrund fehlender IVIarktnähe in (teilweise
deutlich) zu großer Menge produziert wer–
den. Dies äußert sich im Praxisbeispiel in
der Regel dadurch, dass große Warenbe–
stände an die Region zugeteilt werden, die
innerhalb dieser nun in kurzer Zeit Abneh–
mer finden muss, um die Vorräte zu mini–
mieren. Da in diesem Fall das Angebot deut–
lich über der Nachfrage liegt, klappt der
Verkauf zum Ärger des Controllers in der
Regel nur über teilweise deutlich niedrigere
Preise. Neben den unmittelbaren Gewinn–
minderungen undmöglichen Lagerwertaus–
gleichszahlungen kann dies auch noch
Folgeeffekte für die Preisgebung anderer,
verwandter Produkte mit sich bringen. Hin–
zu kommt ein möglicher Imageverlust durch
eine Positionierung am unteren Ende der
Preisspanne. Lagerwertausgleichszah–
lungen bedeuten: Die gerade imHandel be–
findliche Ware wurde den Kunden zu hö–
heren als den neuen Preisen verkauft. Der
Kunde hat in diesem Fall in der Regel einen
Anspruch auf Lagerwertausgleich. Da es
sich bei den Problemprodukten meist um
„Ladenhüter" handelt und die Preissen–
kungen oft erheblich sind, können die nöti–
gen Lagerwertausgleichszahlungen signifi–
kante Größenordnungen annehmen.
Aus Controllingsicht ist hier die Übergewich-
tung der Bilanzkennzahlen auffällig: Die Mini–
mierung der Vorräte als oberstes Gebot er–
scheint fragwürdig, wenn so große Einbußen
bei GuV-Kennzahlen wie Umsatz und Gewinn in
Kauf genommen werden - eine Preissenkung
um 30% bei sofortigem Absatz des gesamten
Lagerbestands ist einer Preissenkung um 15%
bei dreimonatiger Abverkaufsdauer eben nicht
unbedingt vorzuziehen. Em ganzheitlicher Steu–
erungsansatz mit Hilfe eines geeigneten Kenn–
zahlensystems wäre hier angebracht.
Praxisbeispiel Entkoppelter Pla–
nungsprozess: Lösungsvorschläge
Die komplett entkoppelten Planungsprozesse
der Bottom-Up-Vertriebsplanung und der Top-
Down-Produktionsplanung legen eine Überar–
beitung nahe. Dabei ist auffällig, dass jeder der
Teilprozesse für sich durchaus sinnvoll ist, nur
die Kombination zweier gegenläufiger „Halb–
prozesse" sorgt hier für Effektivitäts- und Effizi–
enzverluste. Grundursache des Problems ist,
dass ein zentral geführtes, auf Top-Down-Pro-
zessen beruhendes Unternehmen sich in einem
Markt bewegt, in dem dezentrale Bottom-Up-
Prozesse marktgerechter erscheinen.
Zwei
mögliche Varianten erscheinen in diesem
Zusammenhang zur Verbesserung der Ver–
triebsplanung erwägenswert:
Unter der Annahme, dass an der zentralen
Produktionsplanung in einem zentralistisch
geführten Unternehmen nicht gerüttelt wer–
den kann, erscheint die aufwendige Bot–
tom-Up-Vertriebsplanung obsolet. Somit
wäre es ressourcenschonender, auf eine
detaillierte Bottom-Up-Planung zu verzich–
ten und die knappe Ware top-down nach
strategischen und/oder Preis-Gesichts–
punkten auf Länder zu verteilen. Die Aufga–
be des Vertriebs wäre es somit, die zugeteil–
te Ware an die Kunden zu verkaufen, was
unter dem Gesichtspunkt der Warenknapp–
heit machbar erscheint.
•• Da die aufwendige Bottom-Up-Vertriebspla–
nung in Anbetracht des Geschäftsmodells
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