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magazin 3/05 - Frank-J . Witt
erfolgen kann . Wäh r end sich eine di rekte
Abwande r ung letztlich in e inem Umsat z–
rückgang widerspiegel t , mu s s dies bei
einer indi rekten Abwa nd e r ung nicht un–
bed i ng t der Fall sein. So kann de r kun–
denspezifische Umsa t z zwar unve r ände r t
bleiben ode r soga r ans t e i gen , de r Anteil
am g e s amt e n Au s gabenbudge t de s Kun–
den jedoch gleichzei t igzurückgehen. Eine
Abwande r ung dieser Art wird begüns t igt ,
we nn der Kunde meh r e r e Geschäftsbe–
z i ehungen un t e rhä l t ; beispielsweise ver–
fügen 3 0 bis 40 Prozent aller Kunden
übe r me h r als eine Bankve rb i ndung . Um
eine indi rekte Kundenabwande r ung fest–
zustel len, sol l ten Un t e r nehmen regelmä–
ßig die Share-of-Wallet-Analyse durchfüh–
ren, um sich ve r sch i ebende Ausgaben–
antei le de s Kunden zu e r kennen .
• Das Rückgewinnungscont rol l ing soll–
t e Manage r nicht nu r mi t Informat ionen
da r übe r versorgen, we l che Kunden abge–
wa nd e r t sind, sonde r n auch we sha l b .
Obgleich von g r und l egende r Bedeu t ung ,
gehen der
Ursachenana l yse
bi sher erst
wenige Un t e r nehmen sys t ema t i sch nach.
Ma n u n t e r s c h e i d e t
u n t e r n e hm e n s -
i n t eme , we t t b ewe r b s b e z o g e n e und
kund e nu r s ä c h l i c h e Abwand e r ung s –
gründe ,
die jeweils unterschiedl ich gu t
vom Anbieter e r kann t und beeinf lusst
we r den können . Wie können nun die Ab–
wa nd e r ung s u r s a c h e n identifiziert wer–
den? Hierfür s t ehen ve r sch i edene Me–
t hod e n zur Verfügung.
Bereits die Ana–
lyse von Kündi gungs schre iben oder
Be s chwe rden
fördert of tmals er s t e Er–
kenn t n i s s e zu t age . Da rübe r h i naus h a t
sich die
Critical Incident Technique
(Me–
t h o d e der kr i t ischen Vorfälle) als hilfreich
erwiesen. Mit d i esem Verfahren können
Un t e r nehmen Geschehni sse identifizie–
ren, die a bg ewa nd e r t e Kunden als be–
sonde r s unbef r iedigend er iebt haben . Die
Me t h o d e b e r u h t auf e iner sys t ema t i –
s chen Befragung, bei der au s gewäh l t e
Ex-Kunden gebe t en werden, Si tua t ionen
mi t d em Anbieter zu beschre iben , die bei
i hnen zu h o h e r Unzuf r i edenhe i t und
schl ießl ich zur Abwande r ung führ ten.
• We l che Kunden gilt e s vo r r ang i g
wi ede r zugewi nnen? Man kann sich nach
d em e rwa r t e t en Rückgewinnungser folg
or ient ieren. Dieser ergibt sich au s d em
Kundenwert d e s Kündigers
(Kündiger–
wert) sowi e der Wahrscheinl ichkei t , ihn
dur ch en t s p r e chende Ma ß n a hme n tat–
s äch l i ch z u r ü c k z u g ew i n n e n (Rückge–
wi nnung swah r s che i n l i chke i t ) . Für die
Erfolgskalkulation s t ehen ve r sch i edene
Me t hod e n zur Auswahl . Ein gäng i ges
Verfahren ist die Erstel lung eines Scoring-
model l s . Hierbei wird der (künftige) Wert
von abgewande r t en Kunden (beziehungs–
we i se Kundensegmen t en) a n h a n d zuvor
festgelegter Kriterien ermi t tel t . Als Krite–
rien
sol l ten auf der Erlösseite n e b e n
d em erwar t e t en Umsat z i nsbe s onde r e
da s Cross- und das Up-Selling-Poten-
z i a l s o w i e
d a s
We i t e r emp f e h -
lungspot enz i a l berücks icht igt werden .
Auf der Kostensei te sind die durch die
w i e d e r
a u f g e n o mm e n e
Kund e n –
bez i ehung en t s t ehenden Aufwendungen
(etwa Kosten der Leistungserstel lung oder
Bet reuung) anzus e t zen .
]e
na ch Unter–
n e hme n können die einzelnen Kriterien
unterschiedl ich s tark gewi cht e t we rden .
Die Rü c k g ew i n n u n g swa h r s c h e i n l i c h –
kei ten können mithilfe der ermi t t e l t en
Abwa n d e r u n g s u r s a c h e n a b g e s c h ä t z t
we rden . Generell gilt: Je s t ärker d a s Un–
t e r n e hme n die Abwa nd e r ung s u r s a c h e
beeinf lussen kann , des t o höhe r ist die
Rückgewinnungswahrscheinl ichkei t . Ten–
denziell ist somi t die Chance für eine
Rü c k g ew i n n u n g be i u n t e r n e h m e n s –
be zogenen Abwande r ung s u r s a chen am
h ö c h s t e n u n d be i k u n d e n b e z o g e n e n
Abwande r ung s u r s a chen am ger ings t en.
•
Kunden wa n d e r n me i s t ni cht von
h e u t e auf mo r gen ab . St a t t des sen ver–
läuft de r
Abbruch e i ner Geschäf t s –
b e z i e hung g ewöhn l i ch in mehreren
Pha s en .
Eine aus sch l i eß l i ch r eak t i ve
Rückgewi nnung nach d em Eingang de r
Kündigung greift de sha l b zu kurz. Viel–
me h r sol l ten Un t e r nehmen die Chance
nu t zen , den Kunden noch vor seiner offi–
ziellen Kündigung vo r beugend von de r
Fortführung der Geschäf t sbez i ehung zu
übe r z eugen . Hierzu mü s s e n in e i nem
e r s t e n Sc h r i t t g e e i g n e t e F r ü hwa r n –
indikatoren für eine d r ohende Abwande–
rung ermi t tel t we rden . Für die Deu t sche
Luf thansa ist z um Beispiel d a s Einlösen
vieler Mi les&More-Punkte ein solcher In–
d i ka t or Bei e i nem großen Kunden s t amm
k omme n ve r s t ä rk t Verfahren de s Data-
mining z um Einsatz, die sich speziell für
die Ana l yse von s eh r g r oß e n Daten–
me ng e n eignen.
• Wenn die Abwande r ung nicht vor–
b e ug e nd ve rh i nde rba r war, sol l te ma n
die Ex-Kunden z umi n d e s t du r ch eine
schnel le Kont akt aufnahme innerha lb von
wen i gen Tagen na ch Eingang der Kündi–
gung übe r r a s chen , z. B. mi t Hinweis auf
Feh l e r be s e i t i gung . Schne l l i gke i t u n d
Timing sind also wichtig!
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Sol len verlorene Kunden zurück–
komme n , mü s s e n s ie e i nen Anreiz er–
hal ten.
Dieser be s t eh t jedoch nicht allein
dar in, mi t hohen finanziellen Rückkeh r
p r ämi en zu locken. Im Gegenteil: Häufig
we r den auf d i ese Weise soga r die fal–
schen, d. h. die unprof i tablen u n d illoya–
len Kunden z u r ü c k g ewo n n e n . Erfolg–
ve r spr echende r ist es, d em Kunden ein
au s seiner Sicht faires Angebo t zu ma–
chen , da s bei den Ur sachen seiner Ab–
wa nd e r ung anse t z t . Das Ziel mu s s sein,
den subjekt iv er i i t tenen Schaden de s
Kunden auszugl e i chen. Häufig geht es
dabe i weniger um
e ine materiel le als
um e ine ps ycho l og i s che Wiedergut–
machung ,
z um Beispiel in Form einer
ehrl ich geme i n t en Ent schuldigung. Ein
k l e i nes f inanz i e l l es b e z i e h u n g swe i s e
ma t e r i e l l e s Rü c k g ew i n n u n g s a n g e b o t
kann jedoch als Geste de s gu t en Willens
d i enen , um d a s aufricht ige Bemühen
noch zu unt er s t re i chen . Mögl ichkei ten
hierzu gibt es in jeder Branche: verbes–
ser t e Kondi t ionen, Ausgleich de s finanzi–
el len Ver ius t s , ko s t en l o s e Repa r a t ur ,
zügiger Umt aus ch ode r Ersatz de s man –
gelhaf ten Produkt s .
# Ein effektives Verfahren zur Rückge–
wi nnung ist ein wei terer Schlüssel z um
Erfolg.
Der Rü c kg ew i nnung s p r o z e s s
sol l te formal klar und einfach gerege l t
sein,
i ndem ein Sollablauf festgelegt und
schriftlich dokumen t i e r t wird. Vorhande–
ne Schni t tstel len zu ande r en Abteilun–
gen mü s s e n hierbei berücks icht igt wer–
den . Vor al lem ist genau zu definieren,
wie schnel l die Kunden Rückantwor t er–
ha l t en sollen und wie sie in die Entschei–
dungs f i ndung e i nzub i nden sind. Bei aller
St andardi s i erung de s Rückgewinnungs –
p r oze s s e s dürfen die Mi tarbei ter j edoch
nicht zu s t ark in ihrem Ent sche idungs –
und Hand l ungs sp i e l r aum e i ngeschr änk t
werden. St a t tdessen sollten sie eigenstän–
dig und ggf. abtei lungs- und bereichs–
übergrei fend Ma ß n a hme n zur Rückge–
wi nnung einlei ten können .
• Das be s t e Rückgewi nnungs angebo t
s ow i e d e r p r o f e s s i o n e l l s t e Rückge –
wi nnungsprozes s führen jedoch nur dann
z um gewün s ch t en Erfolg,
w e n n der Um–
gang d e s Anbi eters mi t d em abgewan –
der t en Kunden i ns ge s amt a n g e n e hm
und fair ist.
Mi tarbei ter sol l ten de sha l b
d a r u m b e m ü h t s e i n , w ä h r e n d d e s
Rü c k g ew i n n u n g s g e s p r ä c h s e i ne gu t e
Atmo s phä r e zu schaffen. Das he ißt zu–
nä ch s t einmal : Der Kunde ist höflich und
z uvo r komme nd zu behande l n . Dies er–
wei s t sich nicht imme r als ganz einfach,
da a bg ewa nd e r t e Kunden tei lweise noch
s t a r k verärger t s ind und den Kontakt mi t
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