Seite 94 - CONTROLLER_Magazin_2004_06

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Controller
magazin 6/04 - Lars Sudmann / Wolfram Lenzen
Wirkungskreislauf der psychologi–
schen Faktoren in Krisensituationen
Aufgrund der Ausführungen, die auf den
Erkenntni ssen de r emp i r i schen Psycho–
logie sowi e unse r e r Be r a t ungse r f ahrung
b a s i e r e n , ist fo l gende r ve r e i n f ach t e r
Reakt ionsablauf wä h r e nd einer Unter–
nehmen s k r i s e (sowohl be im Geschäfts–
führer als auch be im Controller) beispiel–
haft vorstel lbar :
^ Aufträge b l e i ben aus , die Unter–
nehmenskr i s e wi rd als Erfolgskrise
w a h r g e n o mm e n ,
Ba n k e n g e h e n
keine Neuk r ed i t engagemen t s me h r
ein. Die Liquidi tät ss i tuat ion ist be–
rei ts a ng e s p a nn t . Der Druck und der
dadu r ch e r zeug t e St ress auf Unter–
n e hme n s f ü h r u n g u n d Cont rol l ing
wächs t .
^ Es k omm t z um P h ä n ome n der
se l ekt i ven Wahrnehmung und d e s
s e l ekt i ven Ent s che i dens .
Es wi rd
na ch Er k l ä r ungs ans ä t zen gesuch t ,
wa r um d a s Wegb r echen der Umsät –
ze nur vo r übe r gehend ist, in Verbin–
d u n g mi t Ei nschä t zungen , d a s s ein
„s t arkes Drehen des Ma r k t e s " kurz
bevo r s t eh t (der j edem Berater be–
kann t e „Hockey-Stick"). Ans t a t t kurz–
fristig Ge g e nma ßn a hme n einzuleiten,
we r d e n En t s che i dungen getroffen,
die den zukünf t igen hohen Umsät –
zen eines e r s t a r k t en Ma r k t e s Rech–
n u n g t r agen sollen und somi t die
gefass te Wa h r n e hmu n g un–
t e r s t ü t zen . Der Controller ist
hier geforder t , die Rationali–
t ä t der En t sche i dung genau
zu prüfen.
^ Aufgrund de r nicht eingelei–
t e t en Ge g e nma ß n a hme n u n d
der sich wei ter ve r s t ä r kenden
Krise n e hme n die Führungs–
k r ä f t e e i n e n
v e r s t ä r k t e n
Kont ro l l ver lus t wahr .
Als
Reakt ion k omm t es zu einer
ges teiger ten Risikofreudigkeit
und Angriffhaltung („jetzt ers t
recht") .
^ Nach einer gewissen Weile des
„Angriffs" und de s ausbleiben–
d e n Erfolgs schl ägt die
Hal–
t un g j edo ch in „Verteidi–
gung" um,
wa s sich du r ch
e i ne ( ex t r eme ) Ri s i koscheu
ausd r ück t . Auch mögl icher–
we i se pos i t ive Informa t ionen
w e r d e n n i ch t h i n r e i c h e n d
wa h r g e n omme n ; Res t ruktu-
r i e rungen u n d „har t e" Maß –
n a hme n , um die pos i t iven Bes tand–
teile de s Un t e r nehmen s zu s t ä rken ,
we r d e n nicht me h r umge s e t z t . Es
k omm t in gewi sser Weise zu e inem
Rückzug bzw. einer Star re . In Aktien–
mä r k t e n ist di eses P h ä n ome n be–
kann t , we n n beispielsweise aufgrund
von Ver lusten ganze Portfolios abge–
s t oßen we r den und sich Anleger für
l ange Zeit vol l s t ändig von d e n Ak–
t i enmä r k t en zurückz i ehen,
^ Im s ch l imms t en Fall erfolgt im An–
sch l us s an die darges t e l l t en Verhal–
t e n smu s t e r die Insolvenz, obwoh l
„man doch alles richtig g ema c h t hat".
Tat sächl ich h a t ma n d a s eben auf–
grund der be s ch r i ebenen Irrationali–
t ä t e n g e n a u nicht ge t an .
Durch die be s ch r i ebenen Verhal tenswei–
sen kann in Krisenzeiten ein Teufelskreis
an En t sche i dungen en t s t ehen , der direkt
auf die psychologi schen Prozesse bei den
Führungskräf t en zurückzuführen ist. Die
Zu s amme n h ä n g e sind in Abbi ldung 3
n o c hma l s be i sp i e l ha f t z u s amme n g e –
fasst. Mange l nde s Eigenkapi tal oder Li–
qu i d i t ä t sengpäs se etc. sind in dieser Sicht
nur Symp t ome der Krise, die Irrationali–
t ä t en im Wah r nehmung s - und Entschei–
dungsve rha l t en sind ein we s end i che r und
ursächl icher Faktor Selbs tvers tändl ich
en t s t ehen diese Verhal tenswei sen nicht
a u t oma t i s c h bei jeder Führungskraf t .
Allerdings en t sp r echen sie grundlegen–
d em mens ch l i chen Verhal ten und ein
Auftreten ist zumi nde s t wahrscheinl ich.
Die Kenntnis dieser „Schwächen" ist wich–
tig, dami t ma n ihnen rechtzei t ig begeg–
nen kann - ohn e sich in der Sicherhei t
einer au t oma t i s chen Rat ional i tät zu wie–
gen, die in de r Praxis k a um anzutreffen
ist.
4 HANDLUNGSEIWPFEHLUNGEN
FÜR DEN CONTROLLER
In der Li teratur exist iert eine Vielzahl von
bet r iebswi r t schaf t l ichen und rechdi chen
M a ß n a h m e n u n d Emp f e h l u n g e n in
Kr isensi tuat ionen. " Diese sind jedoch wie
oben beschr i eben mei s t nur rein bet r iebs–
wi r tschaf t l icher Natur und gehen nicht
auf die psychologi schen Besonde rhe i t en
der Führungskräf te ein. Die obigen Aus–
führungen h a b e n j edoch gezeigt , d a s s
diese I ns t r umen t e erst d a n n z um Zuge
komme n , we n n die Führungskräf t e im
Un t e r nehmen die Krise wa h r n e hme n und
d a n a c h ra t iona l hande l n . Wie gezeigt
wurde , gibt es ge r ade an d i esem Punkt
jedoch erhebl i che Defizite.
Der Controller kann hier eingreifen und
proakt iv hande l n . Das Wi ssen um die
Mögl ichkei t der Hand l ung ist wicht ig.
Das größ t e Problem ist da s frühzei t ige
Erkennen, Wa h r n e hme n und „Wahrha–
b e n wol len" de r Krise. Leider l äss t sich
Schemat i sc t i er Ab l au f der Kr i se unter Be r ücks i c l i t i gung der
p s y c ho l o g i s c hen Faktoren
En t s t ehung v o n S t r es s
• Angst vor Machtverlust
" Zweifel an Führungs–
qualität durch Dritte
• Angst vor Vermögens-
einbulien
• Angst vor Haftung & straf–
rechtlichen Konsequenz
Ve r s t ärk t e Au sw i r k u n g
• Kognitive Beschränktheit
• Kognitive Dissonanz
• Kontrollverlustphänomene
Ef fekte
• selektive Wahrnehmung
• selektives Entscheiden
• Risikofreude
I n s o l v en z
• Handlungsspielraum
fast nicht vorhanden
• „Aber wir haben doch
alles richtig gemacht"
Ums c h l a g e n de r
S t immung
• Verteidigung,
Rückzug, Starre
• (extreme) Risikoscheu
• Keine Durchführung
von Maßnahmen
Kr i se ve r s tärk t
s i c h
• Wahrgenommener
Kontrollverlust
• Angriffshaltung
.Jetzt erst recht'
• Risikofreude
E i ns t e l l ung
• „Das kann nicht sein!"
• „Das kriege ich in den Griff'
• „Ein Drehen de s Marktes steht
kurz bevor"
Abb. 3: Psychologischer „Teufelskreis" (Quelle: eigene
Darstellung)
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