CM Controller magazin 6/03 - Peter Glinder
und juristische Beratung und dergleichen.
Zweitens können
öffentiiche Aufgaben
der Daseinsvorsorge,
die unmittelbar
dem Bijrger gegeniJber zu erfüllen sind,
von Privaten erbracht werden (zwischen
Bürger und Staat gilt dann Verwaltungs–
privatrecht'). Dies gilt drittens auch für
behördlich angeordnete
Ausführungvon
vertretbaren Vollstreckungsmaßnah–
men.
Und viertens sind
viele Verfahrens–
handlungen mit einem die hoheitiiche
Sachentscheidung lediglich vorberei–
tenden Charakter
(sie sind im Rechts–
behelfsverfahren nicht selbständig an–
fechtbar)
vergabefähig.
Das grundgesetzlich verankerte Sozial–
staatsprinzip (Artikel 20 I und 28 1 des
Grundgesetzes) ermächtigt und verpflich–
tet den Staat zu bestimmten Soziallei–
stungen. Das deutsche Sozialrecht - nor–
miert im Sozialgesetzbuch (SGB) und
Spezialgesetzen -
basiert auf den vier
Säulen: Sozialversicherung, Sozial–
versorgung, Sozialhilfe und Sozial-
förderung^
Die zuständige, über Sozial–
leistungen entscheidende Behörde (§ 12
SGB I) hat im Verwaltungsverfahren von
Amts wegen den Sachverhalt zu ermit–
teln ( §20 SGB X) und sich dabei
erforder–
lichenfalls auch der Hilfe medizinischer
Sachverständiger zu bedienen,
die über
die benötigte Fachkompetenz verfügen.
Was Fachkompetenz ist, bestimmt sich
nach der wi s sens cha f t l i chen Lehr–
meinung, die zum Teil in Verwaltungs–
vorschriften, Richtiinien und Empfehlun–
gen fixiert ist. Allerdings ist die Verwal–
tung bei ihrer Sachentscheidung nicht
an die Aussagen und Feststellungen der
Sachverständigen gebunden.
Letztere
bere i t en die hohei t l iche Sachent –
scheidung der Verwaltung daher le–
diglich vor übernehmen aber nicht die
hoheitliche Entscheidungsverantwor–
tung.
Der Sachverständigenbereich ist
daher de jure vergabefähig.Den Behör–
den, die über Sozialleistungen entschei–
den und dabei auf die Hilfe medizini–
scher Sachverständiger angewiesen sind,
stellt sich
somit die strategische Frage:
Soll ein verwaltungseigener medizini–
scher Dienst
(ggs. mit zusätzlicher Her–
anziehung externer Ärzte bei Kapazitäts–
engpässen)
vorgehalten oder sollen im
Wege des Outsourcing ausschließlich
externe Fachmediziner nach Bedarf
beauftragt werden?
Bei letzterem spricht
man auch von sogenannter
„funktiona–
ler Privatisierung" bzw. von vollständi–
gem „Contracting Out"' .
2. WELCHE HANDLUNGSALTER–
NATIVEN BESTEHEN?
Ist eine Leistung de
j u r e
vergabefähig,
sind die denkba r en
Handlungs–
alternativen zu ermitteln. Auf Seite der
verwaltungseigenen Erbringung sind
eventuell bestehende Möglichkeiten zu
Restrukturierungen sowie Kooperationen
mit anderen Behörden/Verwaltungen zu
berücksichtigen. Verwaltungsextern kön–
nen Leistungen an Einzelpersonen bzw.
- U n t e r n e h m e r
sowie privatrechtliche
Gesellschafts- und Generalunternehmen
vergeben werden (so können zur
Gutachtenerstellung mehrere einzelne
Gutachter oder um die Verantwortlich–
keiten zu bündeln, z. B. eine - eventuell
noch zu bildende - Personengesellschaft
beauftragt werden). Dabei sind die vor-
und Nachteile der jeweiligen Rechts–
formen mit den spezifischen Erforder–
nissen und Gegebenheiten abzugleichen.
Die denkbaren Handlungsalternativen
sind den folgenden Prüfungspunkten zu
unterziehen.
3. SIND DIE ZUM OUTSOURCING
VORGESEHENEN LEISTUNGEN DE
FACTO VERGABEFÄHIG, D. H. WIRD
DIE K.O-HÜRDE ÜBERSPRUNGEN?
De jure vergabefähige Leistungen kön–
nen de facto an Private nur vergeben
werden, sofern es überhaupt ausreichend
Anbieter gibt, die die
Leistungen dauer–
haft mit der mindest gewünschten
Quant i t ä t und Qual i tät
(Mindest
Leistungskriterien) sowie unter der
Vor–
aussetzung relativer Preisstabilität er–
bringen
können und wollen. Diese vier
Kriterien sind mit Kennzahlen zu präzi–
sieren.
Die festzulegenden Mindestaus–
prägungen der Kennzahlen stellen zu–
sammen eine K.o.-Hürde dar.
Falls dem–
nach nicht ausreichend dauerhaft exi–
stenzfähige Private zur Auswahl stehen,
scheidet ein vollständiges Contracting-
Out aus. Unter Qualität ist - neben der
allgemeinen Zuvedässigkeit des Anbie–
ters - der erforderiiche Mindestgrad an
Befriedigung fachl icher t echni scher
rechdicher und sonstiger staatiicher dem
Allgemeinwohl dienender Vorgaben (z.
B. Verpflichtung des Anbieters zur Ein–
haltung arbeits- und tarifrechtiicher Min-
dest-Regelungen) zu verstehen. '" Dies
setzt natüriich voraus, dass eindeutig
messbare - und damit überprüfbare -
Qualitätsziele festgelegt sind. Die De–
facto-Vergabefähigkeit liegt selbst dann
vor wenn potenziell geeignete Anbieter
derzeit zwar die Leistungskriterien nicht
erfüllen, jedoch durch entsprechende
Maßnahmen (z. B. Fortbildungen) - für
den vorgesehenen Vergabezeitraum -
dazu gebracht werden können. Relative
Preisstabilität ist gegeben, wenn imZeit–
punkt der Vergabeentscheidung - z. B.
durch langfristige Lieferverträge oder
Gebührenordnungen - sicher gestellt ist,
dass auch langfristig die Preise des Fremd–
bezugs nicht oder lediglich in einem „ver–
träglichen" Rahmen (z. B. in Höhe der
Inflation) steigen. Insbesondere die nur
schwer reversible Abhängigkeit von staat–
lich nicht regulierten privaten Angebots–
monopolen oder -oligopolen, die womög–
lich durch das vollständige Contracting
out erst entstehen, ist zu vermeiden. In
der Praxis dürften die zunehmenden
supranationalen Liberalisierungsbestre–
bungen im Diensdeistungsbereich (EU,
WTO) dazu führen, dass die staat -
licherseits zulässigerweise zu fordernden
Mindest-Leistungskriterien immer nied–
riger angesetzt werden. Andernfalls droht
wegen Bee int rächt igung von Wett–
bewerbs- und Handelsfreiheit teurer
Rechtsstreit.
Damit die Erstellung ärztiicher Gutachten
an Private (als Einzelperson, Gesefl-
schafts- oder Generalunternehmen) de
facto vergeben werden kann, muss si–
chergestellt sein, dass eine - zuvor an
Hand der erwarteten Fallzahlen festge–
legte - Mindestanzahl mindest-qualifi-
zierter privater Gutachter pro Region lang–
fristig zur Verfügung steht. Die gewünsch–
te Mindest-Qualifikation der Privaten ist
u. a. durch Aus- und Fortbildungs- sowie
gegebenenfalls durch Befähigungs- und
Erfahrungsnachweise zu belegen. Um
diese Qualität auch dauerhaft zu gewähr–
leisten, sollten die privaten Gutachter
durch vertragliche Regelungen zu er–
fordedichen Fortbildungen, zu einer
Mi ndes t anzah l von Gut acht ener –
stellungen pro Periode sowie zu sonsti–
gen qualitätssichernden Maßnahmen
verpflichtet werden. Für die Höhe der
Vergütung ärztlicher Gutachter im So–
zialrecht gilt nach § 21 Abs. 3 SGB X das
Gesetz über die Entschädigung von
Zeugen und Sachverständigen, was die
relative Preisstabilität gewährleistet. Die
Behörde kann aber auch nach eigenem
Ermessen mit den Gutachtern indivi-
duefle Entschädigungen vereinbaren.
556