CM Controller magazin 3/03 - Friedhelm Hemmerich
Ein weiterer zentraler Konfliktbereich liegt
in der JVlarkenpolitik. Die großen Han–
delsunternehmen werden in den näch–
sten jähren ihre Handelsmarkenpolitik
massiv intensivieren. Handelsmarken,
sofern sie professionell konzipiert und
geführt werden, was in der Vergangen–
heit nicht immer der Fall war, können für
den Handel mit wesentlichen Wettbe–
werbsvorteilen verbunden sein, vor al–
lem im Bereich des Images (Exklusivität),
des Ertrags und der weiter wachsenden
Unabhängigkeit von der Markenartikel–
industrie. Besonders Migros (Schweiz)
und Aldi haben mit ihrer Handelsmarken–
politik (kombiniert mit Niedrigpreisen und
hoher Qualität) seit langem überragende
Erfolge erzielt.
Dass die Intensivierung der Handels–
markenpolitik viele mittelständische In–
dustrieunternehmen in Schwierigkeiten
bringen wird, weil sie dann ihre eigenen
(eher schwachen) Herstellermarken kaum
noch in den Regalen des Handels halten
können und Gefahr laufen, zu Handels–
markenproduzenten „degradiert" zu
werden, liegt auf der Hand. Zumal dann,
wenn die Handelsmarken geschickte
Imitationen gerade der renommierten,
mit viel Aufwand beworbenen Hersteller–
marken sind, wie es Aldi mehrfach beein–
druckend vorgeführt hat.
Im Vergleich zu den Konflikten im Bereich
der Sortimentspolitik sind die Konflikte
im Bereich der
Kontrahierungspolitik
eher alt, sie sind allerdings in jüngerer
Zeit, vor allem durch die z. T. ruinösen
Preiskämpfe innerhalb des Handels, noch
härter geworden. Bei Umsatzrenditen um
die 1 % (vor Steuern) in Industrie und
Handel ist dies auch nicht verwunder–
lich. Selbst Wal-Mart, das größte (und in
den USA hoch profitable) Einzelhandels–
unternehmen der Welt, schreibt seit sei–
nem Markteintritt in Deutschland vor
einigen |ahren rote Zahlen.
Aufgrund der Regalhoheit und aufgrund
ihrer Nachfragemacht setzen sich die
großen Handelsunternehmen in der Preis–
politik immer stärker gegen die Industrie
durch. Das Klagen der Industrie und der
Ruf nach der Kartellbehörde zur Beschrän–
kung der Macht des Handels werden hier
wohl wenig nützen, sie könnten aber mit
der Auslistung bestraft werden.
Zur Beurteilung der Preispolitik ist aber
auch das Geflecht von Rabattarten zu
berücksichtigen, die der Handel heute
von der Industrie verlangt. Listungs–
gelder, Werbekostenzuschüsse, Aktions–
rabatte, Platzierungsgelder, )ahresboni,
Steigerungsvergütungen, Mengenrabat–
te und Frühbestellungsrabatte sind hier
nur die wichtigsten Beispiele.
Ein Teil der Konzentration im Handel
dürf te durch die -
nach
dem
Zusammenschluss höheren - Rabatte der
Industrie nachträglich finanziert worden
sein. Schließlich sind auch die Zahlungs–
konditionen nicht nur liquiditäts-, son–
dern auch ertragsrelevant: bei einigen
erfolgreichen Handelsunternehmen (z. B.
Schlecker, Aldi) ist das Zahlungsziel bei
der Industrie länger als die durchschnitt–
liche Verweildauer der Waren. M.a.W.: es
werden Umsatzedöse mit Waren erzielt,
bevor diese Waren vom Handel bei der
Industrie bezahlt werden (keine Umsatz–
vorfinanzierung).
Konf l iktpotenziale im Bere i ch der
Distributionspolitik
stellen die Ansätze
der Industrie dar, den Handel durch den
Aufbau eigener Vertriebswege zu umge–
hen (Direktvertrieb). Allerdings dürfte der
Aufbau von über reg i ona l en und
filialisierten Systemen nach dem Muster
von Tchibo, Benetton oder WMF für die
meisten mittelständischen Industrieun–
ternehmen eine finanziell nur schwer zu
realisierende Variante sein. Der Aufbau
von Franchise-Systemen ist hier schon
eher denkbar. Im Internet, in der Intensi–
vierung der Factory Outlets und in den
sich auch in Deutschland langsam ent–
wickelnden Factory Outlet Centern dürf–
ten für die Industrie jedoch interessante
Chancen liegen, die vom Handel ver–
ständlicherweise nicht gerade begrüßt
werden.
Im Bereich der
Logistik
liegen Koopera–
tion und Konflikt nahe beieinander: eine
Optimierung der gesamten Logistikkette
von Industrie und Handel birgt durchaus
beachtliche Kostensenkungspotenziale
für beide Seiten. Hier sind in den letzten
lahren auch eine Reihe von Kooperations–
erfolgen zu verzeichnen. Konflikte ent–
stehen in diesem Zusammenhang vor
allem um die Verteilung von Investitio–
nen und Einsparungen und - als Voraus–
setzung einer Optimierung der Logistik–
kette - um die in Deutschland bisher
sehr zögerliche Weitergabe von Ab-
verkaufsdaten (Scannerdaten) vom Han–
del an die Industrie.
Im Bereich der
Kommunikationspolitik
besteht ein bisher kaum oder nur unzu–
reichend gelöstes Problem in der Abstim–
mung der Maßnahmen zwischen Indu–
strie und Handel. Dies gilt vor allem für
die Werbung und die Verkaufsförderung.
Die Produktwerbung der Industrie be–
rücksichtigt nicht die Sortimentsziele des
Handels, die von der Industrie vorgeschla–
genen Verkaufsförderungsaktionen wer–
den zu ca. 5 0% vom Handel abgelehnt.
Ist die Integration der Marketing-Instru–
mente insgesamt und der Instrumente
der Kommunikationspolitik im besonde–
ren bereits eine im einzelnen Unterneh–
men bisher kaum gelöste Aufgabe, so gilt
dies um so stärker für die auf die gleichen
Konsument en zielenden kommuni –
kationspolitischen Maßnahmen des Han–
dels einerseits, der Industrie andererseits.
Durch die unzureichende Abstimmung
der Akt ivi täten werden mög l i che
Synergieeffekte verschenkt. Im Hinter–
grund steht der kaum zu lösende Interes–
senkonflikt zwischen der Profilierung
durch Produkte (Markenprofilierung) sei–
tens der Industrie und der Profilierung
der Verkaufsstätten seitens des Handels.
Das einzelne Industrieunternehmen ist
daran interessiert, dass seine Produkte
vom Handel bevorzugt gelistet und in
der Verkaufsstätte bevorzugt präsentiert
werden. Das einzelne Handelsunterneh–
men dagegen will sein eigenes Profil
schärfen, der einzelne Hersteller ist dabei
i.a. nur ein Baustein unter vielen.
Besonders ärgeriich für die Industrie sind
die
l aufenden
kommuni ka t i ons -
poliüschen Maßnahmen des Handels für
Sonde r p r e i s ak t i onen
mi t
den
Renommiermarken der Industrie. Die
Handelsunternehmen fördern damit ihr
positives Preisimage, beschädigen aber
das Image dieser Herstellermarken, das
i.a. eben auch einen überdurchschnitt–
lichen Verkaufspreis beinhaltet.
Ein Kommunikationsinstrument, über
das der Einzelhandel, nicht aber die Indu–
strie verfügt, ist die
Verkaufsstätte
selbst
(POS). Aufgrund der rapide gesunkenen
Aufmerksamkeits- und Erinnerungswerte
der klassischen Mediawerbung und da–
mit der Schwächung der Pull-Strategie
der Industrie, ist dies ein kaum zu unter–
schätzender kommunikationspolitischer
Vorteil des Handels. Die Mehrheit der
Kaufentscheidungen fällt heute am POS.
Die Gestaltung der Verkaufsstätten, z. B.
im Hinblick auf Warenpräsentat ion,
Platzierung, Atmosphäre und persönliche
Beratung orientiert sich primär am Ziel
der POS-Profilierung, nicht aber an den
Zielen der Industrie (Markentreue).
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