Seite 5 - CONTROLLER_Magazin_2003_03

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CM Controller magazin 3/03
NACHFRAGEMACHT UND
KUNDENERFOLGSRECHNUNG
von Friedhelm
Hemmerich,
Mosbach
Prof. Dr. Friedhelm Hemmerich ist
Leiter des Studiengangs Industrie an
der Berufsakademie Mosbach/Baden
und Unternehmensberater
e-mail:
1. Vorbemerkungen
Das Verhältnis von Handel und Industrie
in Konsumgütermärkten ist seit längerem
durch massive Konflikte gekennzeichnet.
Die Industrie hat - mit Ausnahme der
Kommunikationspolitik - keinen direkten
Kontakt zu den Konsumenten, denn ihre
Kunden sind die Handelsunternehmen. Die–
se entscheiden, welche Produkte der Indu–
strie zu welchen Preisen und unter wel–
chen Bedingungen am Point of Sales (POS)
den Konsumenten angeboten werden.
In großenteils gesättigten i\Aärkten, bei
stagnierenden Realeinkommen, schrump–
fender Bevölkerung, vorhandenen Über–
kapazitäten und aufgrund der konjunk–
turellen Situation haben die Konflikte
zwischen Handel und Industrie in den
vergangenen Jahren weiter an Intensität
zugenommen. Der Handel nutzt mehr
und mehr seine
Nachfragemacht
gegen–
über der Industrie. Am deutlichsten zeigt
sich diese Entwicklung bisher im Lebens–
mittelmarkt (Food- und Non-Food-Be-
reich), aber auch in vielen anderen
Konsumgütermärkten wie z. B. Textil,
Bekleidung, Körperpflege, Haushalts–
artikel, Heimwerkerbedarf oder Spielwa–
ren finden sich vergleichbare Strukturen.
Vielfach besteht in den Industrieunter–
nehmen Unkenntnis darüber, ob und ge–
gebenenfalls wieviele Deckungsbeiträge
sie mit ihren großen Handelskunden er–
zielen. Das Controlling-Instrument, das
hier Ertragstransparenz schaffen kann,
ist die
Kundenerfolgsrechnung.
2. Die Konflikte
Die Konflikte zwischen Handel und Indu–
strie zeigen sich auf allen Ebenen des
Marketing-Mbc.
Im Bereich der
Sortimentspolitik
bietet
die Industrie dem Handel Jahr für )ahr eine
große Zahl neuer Produkte (Innovationen
und vor allem Variationen) zur Aufnahme
ins Sortiment (Listung) an. Im Lebens–
mittelmarkt sind dies heute ca. 2.000 Pro–
dukte p.a., vor 20 [ahren waren es nur
1
00.
Der Handel ist an einer derartigen Flut
neuer Produkte, vor allem an den Varia–
tionen, aus räumlichen, profilmäßigen
und ertragsmäßigen Gründen nur mäßig
interessiert. Er nutzt deshalb zunehmend
seine Regalhoheit, d. h. die iVlacht, das von
der Industrie angebotene Produkt nicht
ins Sortiment aufzunehmen. Die Industrie
kann dem Handel ihre neuen Produkte
nicht ins Regal zwingen, i.d.R. muss sie
sich die Sortimentsaufnahme durch sog.
Listungsgelder, Werbekostenzuschüsse
und eigene, massive Endverbraucher–
werbung erkaufen. Erfahrungsgemäß sind
nur ca. 3 % der angebotenen neuen Pro–
dukte echte Innovationen, ganz überwie–
gend handelt es sich um Me-too-Produkte
und ca. 85 % von ihnen stellen sich bald
als Flops heraus. Es kommt sogar vor, dass
der Handel von der Industrie für einen Flop
auch noch ein sog. Trennungsgeld verlangt.
Das Tempo des
Imitationswettbewerbs
in der Industrie hat sich rapide erhöht. Als
Nestle vor einigen |ahren mit seinem pro-
biotischen [oghurt eine echte Innovation
auf den Markt brachte, wurden auf der
folgenden ANUGA (ein halbes lahr später)
bereits 14 ähnliche Produkte vorgestellt.
So werden Flops vorprogrammiert und
Innovationen entwertet.
Aber der
Konflikt liegt nicht nur in der
Anzahl der pro Jahr von der Industrie neu
angebotenen Produkte. Auch die Frage
der bereits heute vielfach
ausufernden
Sortimente
des Handels ist ungelöst. Z.
B. hat sich die Anzahl der in Supermärk–
ten angebotenen Artikel in den vergan–
genen 30 [ahren ca. verdreifacht. Nie–
mand wird ernsthaft behaupten können,
dass ein SB-Warenhaus 67 Sorten Honig
im Regal haben muss, weil die Konsu–
menten dies wünschten. Auch der Leiter
eines solchen Marktes weiß nicht, ob
nicht vielleicht auch 2 0 Sorten alle
Verbraucherwünsche befriedigen wür–
den. Er weiß auch nicht, ob 67 Sorten
Honig vielleicht mehr
zur Verwirrung
beitragen als dass sie einen Kaufanreiz
darstellen. Vermutlich schaut er etwas
ratlos auf
den
Discounter mit seinen
3 Sorten Honig und seiner hohen Um–
schlagshäufigkeit.
In der Vergangenheit hat der Handel
zu–
meist dem Druck der Industrie zur Listung
einer
großen Zahl ähnlicher Produkte
nachgegeben und steht heute etwas irri–
tiert vor seinen nur noch schwer über–
schaubaren Sortimenten.
Die Zeit
der
systematischen Eliminierung von Dupli–
katen aus den Sortimenten ist in Deutsch–
land noch nicht angebrochen, obwohl
empirische Untersuchungen in den USA
zeigen, dass hier Erfolgspotenziale liegen.
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