Controller magazin
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INTERNET
VERÄNDERT
DIE SPRACHE
von Marc
Szombathy,
Gauting
Marc Szombathy, MediaOffice Mun i ch
Bock & Szombathy Pippinplatz 6,
82131 Gauting, Tel. 089 / 850 88 50,
EMa i l :
Macht das Internet die neue Rechtschreibreform überflüssig? Für den Linguisten Dieter Stein besteht l(ein Zweifel:
Die elektronischen Medien verändern unser Sprachverhalten.
Nun hilft wohl alles Lamentieren nichts
mehr: Die neue Rechtschreibreform ist
durch und wir haben uns gefälligst damit
abzufinden. Hurra-Geschrei bei den Befür–
wortern und lange Gesichter bei den Geg–
nern. Denn kaum eine andere politische
Entscheidung hat die öffentliche Meinung
derart zwiegespalten, wie die von langer
Hand geplante Einführung dieses äußerst
umstri ttenen und in sich auch wider–
sprüchlichen Regelwerks. Wirklich wichti–
ge soziale Themen - man denke an die
desolate Arbeitsmarktsituation oder an
die leeren staatlichen Haushaltskassen -
rücken da schon mal in den Hintergrund.
Neben allgemeinen Debatten nach der
Sinn- und Zweckmäßigkeit sind es vor al–
lem die hohen Kosten, die die Emotionen
schüren. Zwar wi rd nach Maßgabe der
beschlossenen Reform nur ein Bruchteil
der deutschen Orthographie verändert,
doch allein für diese Umstellung muß der
ungefragte Steuerzahler Millionen hinblät–
tern. Und das letztendlich völlig umsonst,
denn die Vereinfachung unserer Schreib–
kultur, wie sie die Rechtschreibreform vor–
sieht, hat sich längst zu einem unkontrol–
lierbaren Selbstläufer entwickelt. Das je–
denfal ls behauptet der renommier te
Sprachwissenschaftler Dieter Stein, der als
erster Deutscher seines Faches den Ein–
fluß der elektronischen Medien auf Sprach–
veränderungen erforscht. In einem Inter–
view stellte der Düsseldorfer Universitäts–
professor seine Arbeitshypothesen aus–
führlich vo r Sprachlicher Wandel wi rd
demnach durch die breite öffentliche Nut–
zung des Internets vorangetrieben. Unter
Einbeziehung der Alltagssprache (z. B.
beim Mailen oder Chatten im Netz) kommt
es zu einer starken Abweichung unseres
normalen Schreibverhaltens.
Schlüsselerlebnis
„Unsere Sprache verändert sich alle drei
Monate" , sagt Stein, und die deut sche
Sprache saugt s i ch immer meh r mi t
eng l i schen u n d techn i schen Begr i ffen
vo l l , die sich im Zuge der gigantischen
Verbrei tung von Onl ine-Verbindungen
etablieren. Viele Neuregelungen, wie sie
die Rechtschreibreform beinhaltet, ha–
ben nach Ansicht des Präsidenten der
Internationalen Gesellschaft für histori–
sche Sprachwissenschaft schon seit lan–
gem ihren Platz im digitalen Netz.
Stein, der sich in seiner mehr als 1 Sjähri-
gen beruflichen Tätigkeit schon lange mit
dem globalen Datennetz auseinander–
setzt, ist davon überzeugt , daß heutzuta–
ge kein moderner Akademiker mehr ohne
das Internet auskommen kann: „Effekti–
ve Forschung wäre nahezu unmögl ich
ohne dieses Kommunikationsmittel , so
daß wi r quasi gezwungen sind, uns da–
mit zu beschäftigen und natürl ich auch
darüber zu reflektieren."
Der Umgang mit dem Internet als Ar –
bei tsmedium brachte den Linguisten vor
über sechs jähren schließlich auf die Spur
und dami t zu einem neuen Forschungs–
projekt. Beim Lesen und Verfassen von
eigenen und fremden Texten via Onl ine
hatte Stein damals so etwas wie ein
Schlüsselerlebnis. Urplötzl ich entdeckte
er, daß auf sprachl i cher Ebene Vorgän –
ge v o n gewa l t i gen Ausmaßen stattf in–
den . Seitdem hat es sich der Sprachwis–
senschaftler zur Aufgabe gemacht, die–
sem Phänomen näher auf den Leib zu
rücken: „Warum sollten wi r uns nur mit
Texten aus dem 11. Jahrhundert beschäf–
tigen? Wozu in die Ferne schweifen?
Sprachwandel findet jetzt statt und die
elektronische Kommunikation gestattet
uns sogar, dabei zuzusehen. "
Pragmatische Kommunikation
Wenngleich Stein seine bisherigen For–
schungsergebnisse noch eingehender
überprüft haben wi l l , so steht für ihn
jedoch fest, daß die elektronische Kom–
munikat ion über das Internet den Stmk-
turen der gesprochenen Sprache näher
steht als denen der geschriebenen. Häu–
fig verwendete Kurzformen, wie z. B.
„Komm doch" , „Mal schau ' n. . . " etc. bele–
gen dies nur al lzu deutl ich.
Das e-Mailen oder Chatten ist eine Folge
ihrer Kommunikationspragmatik und die
Ar t , wie gesprochen oder geschrieben
wi rd, hängt von zeitlichen und räuml i –
chen Faktoren ab. Schre i ben bedeutet
im Gr unde Distanz , du r ch das e-Mai len
entsteht aber eine besondere Nähe,
wie sie bisher der mündl ichen Sprache
vorbehal ten wa r Anders als bei einem
klassischen Brief, erhält der Absender
einer e-Mail schon nach ein paar Mi nu –
ten eine Antwor t . Das heißt, die zeitliche
Distanz wi rd aufgehoben und es gibt eine
größere Unmi ttelbarkei t . Ähnl i ch wie
beim Telefonieren wi rd in Windeseile mit–
einander kommuniziert. Folglich schlei–
chen sich auch Schreibfehler ein, die auf–
grund der sehr schnellen Kommunikati –
on eher toleriert werden als bei einem
herkömml ichen Brief. Umgangssprach–
liche Ausdrücke fließen in die Kommuni –
kation mit ein und begünstigen dadurch
die Entwicklung eines neuen Sprachstils.
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