Controller magazin
1/95
der industriellen Prozesse zu einer gigantischen Ver–
schwendung, nämlich: Trägheit im System, unge–
nutzte Arbeitszeit, schlecht genutzter Raum, eine
IJberzahl von Arbeitskräften, exzessive Inventare,
u. a. (J. P. Womack / D. T. Jones / D. Roos, "The
Machine that Changed the World"). Diese Ver–
schwendungen zeigen sich vor allem in den
Strukturkosten-Bereichen (fixen Kosten).
- andere werden innovative Strategien anwenden.
Ein spektakuläres Lean-Management-Konzept
dafür ist die Übernahme eines hochentwickelten
"Versandhauses" durch Merck & Co. in den USA
für einen Betrag von rund
6
Mrd. Dollars. Diese
Übernahme wird die Wettbewerbssituation im
amerikanischen Pharmamarkt dramatisch ver–
ändern.
Nach Hammer und Champy sind die heutigen
Unternehmen "funktionale Silos", in denen die
Menschen im Arbeitsprozeß, mit dem Blick nach
innen, auf ihr funktionales Departement und nach
oben auf den Vorgesetzten richten, niemand schaut
nach außen auf den Markt. Die spezialisierten Un–
ternehmensstrukturen und fragmentierten Prozesse
sind teilnahmslos, reagieren nicht auf die Märkte.
Wer ist wirklich verantwortlich, zuständig für neue
Produkte, neue Dienstleistungen. Jedermann - die
Forschung, das Marketing, die Finanz, die Produkti–
on - alle sind involviert, aber niemand ist letzt–
instanzlich und hauptverantwortlich zuständig.
Japanische Untemehmen bleiben
bei
der Gesamt-
optimiemng ihrer internen Wertschöpfungskette
nicht stehen, sondern greifen auch gezielt, intensiv
und optimierend in die Zuliefer- bzw. Abnehmer–
netzwerke ein. In Reengineering-Prozessen ist die
Beherrschung der Komplexität der Schnittstellen
sowohl auf der Inputseite ('obere System-Grenze')
als auch auf der CHitputseite ('untere System-
Grenze') des Unternehmens wesentlich. Bei ange–
strebten Verändemngen wird immer das gesamte,
komplexe Wertschöpfungsnetz, über die t>etriebs-
intemen Prozesse hinaus, einbezogen.
In ausgereiften Wirtschaftssystemen nehmen
Innovationen immer mehr den Charakter von
strategisch ausgerichteten Systeminnovationen an.
Die Wahrscheinlichkeit eines durchschlagenden
Rationalisiemngserfolgs hängt weitgehend davon
ab, Zulieferanten und Marktteilnehmer dazu zu
bewegen, die für die angestrebte Problemlösung
notwendigen Teillösungen beizutragen. Die 'direk–
ten' Zulieferer fungieren als 'Systemführer' für
einzelne Komponenten bzw. Subsysteme eines
komplexeren Produktes, z. B. Subsysteme der
Forschung und Entwicklung. Das setzt wiedemm
voraus, sich volle Klarheit über die Netzwerkstmk-
turen und vor allem über die möglichen Teilnehmer'
zu verschaffen. Es ist also nicht damit getan, "Team–
arbeit" und ein "Continuous Improvement-Pro-
gramm" etwa in den Produktionsbereichen einzufüh–
ren bzw. eine Segmentiemng in der Fertigung
durchzuziehen. Die Umsetzung des Lean-Konzeptes
geht weit darüber hinaus und kann nicht getrennt
werden von der gezielten, strategischen Umgestal–
tung der Zuliefer- und Absatznetzwerke. Denken in
Wirkungsnetzen und nicht in Wirkungsketten ist
erforderlich.
Beispielsweise reagieren einzelne Gesellschaften der
Pharmaindustrie auf die "konsumentengetriebenen"
Veränderungen im Pharmamarkt bei gleichzeitiger
Steigemng der F&E-Kosten unterschiedlich:
- einige werden nur Kosten reduzieren, um die
Gewinnmargen zu halten;
Unter Zugmndelegung einer radikalen Prozeß–
orientiemng strebt man im Lean-Untemehmen die
Gesamtoptimierung von Wertschöpfungsnetz–
werken an, also einschließlich auch vom Input/
Output-Umfeld. In mehrdimensionalem, verzweig–
tem Denken versucht man, Nebenwirkungen zu
erkennen und versucht daraus Chancen zu machen.
Auf halbem Wege bleibt der stehen, der die
Fühmngs- und Verwaltungssysteme nicht nach
denselben Lean-Prinzipien analysiert und umgestal–
tet. Dies gilt ganz besonders für große Unterneh–
mungen mit konzernartigen Stmkturen, tief gestaf–
felten Hierarchieebenen und aufgeblähten Zentral–
bereichen bzw. Stabsfunktionen. Solche Stmkturen
sind faktisch oft (Quellen für verdeckte Stömngen
und Friktionen, die nicht allein in Kosten ausge–
drückt werden können, aber in hohen Opportunitäts–
kosten negativ zu Buche schlagen ("lost
opportunities").
Wesentlich für die Steuemng von Lean-Untemeh–
men ist der Vorrang der Kriterien auf der Sachebene
vor denen der monetären Wertebene. Die Kriterien
auf den Sachebenen sind eher meßbar, die der
Wertebene hingegen unterliegen stark der Interpre–
tation und sind daher manipulierbar. Erfahmngsge–
mäß zeigt sich, daß wenn die Sachebenen system–
vernetzt, konsequent und mit der notwendigen
Akribie in den Kernaktivitäten in Ordnung gebracht
werden, die "guten Zahlen" der Wertebene nahezu
zwangsläufig folgen, nämlich: tiefere Kosten, gute
Erlöse, hohe Rentabilität und starkes Selbst–
finanzierungspotential.
Lean Management stellt vorerst die fundamentale
Frage nach dem Wamm, dem Was, nach dem
Kemgeschäft. Dann erst die Frage, Wie.
Lean Management ist radikal. Geht auf den Gmnd
der Dinge - mißachtet bisherige Strukturen, beste–
hende Prozesse und findet neue Antworten, die
Dinge zu tun. (Harrer: "Reengineering is about
business reinvention - not business improvement,
business enhancement, or business modification")
Lean Management stellt fundamental das Untemeh–
men und betriebliche Abläufe in Frage und bricht
klar und unmittelbar mit den ehemals gültigen
Regeln. (Siehe Abbildung nächste Seite.)
Was sehr wichtig zu begreifen ist, beim
Lean
Mana–
gement-Ansatz geht es nicht um marginale Verbesse–
mngen - es geht vielmehr um Quanten-Sprünge,
dramatische Verändemngen. Das ganzheitliche Den–
ken und Handeln der Lean-Untemehmung zeichnet
sich vor allem aus durch "vernetztes" System-
Denken, Permanenz und Konsequenz und Kunden–
orientiemng. Dabei sind Permanenz und Konse–
quenz ohne Perfektion im Kleinen nicht denkbar.
12