Seite 37 - CONTROLLER_Magazin_1991_05

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setzen sich fort. Wenn Sie wollen, begann es mit
den Schüssen in Sarajewo und dem Krieg, den
diese auslösten, mit dem 4 Kaiserreiche unter–
gingen, und andere Kriege folgten, Bürgerkrie–
ge, Genozide, mit allen ihren Leiden und
Opfern; Revolutionen, globale Interdependen–
zen
in nahezu allen Bereichen entstanden auf
dem Raumschiff Erde. Es war ein Zeitalter der
Beschleunigung, der Wissensexplosion, der
Anwendungsexplosion, der Informations- oder
vielleicht besser in vielen Bereichen auch nur
der Neuigkeits-Explosion. So wie schon Eisen-
hower, als er das Weiße Haus verließ, gemeint
hat, wir laufen zunehmend Gefahr,
o v emews t
and
underinformed zu werden. Es ist das
Jahrhundert der Kunststoffe, der Mikroprozes–
soren, der Entdeckung des Codes durch das
DNS, der Elektrizität, des Erdöls, des Atoms,
der Massenproduktion, des Massenkonsums,
des Massenwohlstandes, auch in anderen
Bereichen muß man dieses Wort voranstellen:
Massenindividualverkehr, Massenflugverkehr.
Da Entwicklungen in der Kommunikation, in
der Telekommunikation - ich brauch die
technischen Stationen nicht aufzählen - sie
haben jedenfalls dazu beigetragen,
aus der Erde
e in global vi l lage
zu machen und sie haben die
Gefahr mit sich gebracht, daß wir nicht im
Sinne von Orwells 1984 untergehen, sondern
sehr viel mehr konfrontiert sind mit der Animal
Farm von Huxley, daß wir uns zu Tode unter–
halten könnten oder unterhalten werden.
Es war sicherlich auch ein Jahrhundert der
Emanzipation, der unterdrückten Klassen, der
benachteiligten Gruppen, der Emanzipation der
Frauen, der Jugend, ja der Kinder und ganz
sicherlich ist die Entkolonialisierung ein wichti–
ger Teil dieser Emanzipation. Darin spiegelt
sich wider das allgemeine Wahlrecht, spiegelt
sich wider die Umsetzung der Menschenrechte.
Es war und ist noch immer und auch nicht
überall gelöst, wie die Probleme der Dritten und
Vierten Welt zeigen, ein Jahrhundert der sozia–
len Frage und in zunehmendem Maße auch der
ökologischen Frage, denn der Wohlfahrtstaat ist
nur in den westlichen Industrieländern und der
damit verbundene Steuerstaat verwirklicht. Mir
- und das hat Graf Matuschka am Beginn des
heutigen Tages Ihnen eindrucksvoll dargelegt -
ein Jahrhundert mit wachsendem Umweltbe-
wußtsein und wohl auch der Notwendigkeit
dafür.
Umbrüche und hoffentlich Aufbrüche bis in die
jüngste Vergangenheit: hier steht vor allem das
Annus mirabilis 1989. Ein
Jahr der
Wunder,
dem ein Jahr der Freude und Hoffnung folgte.
Inzwischen
s ind wi r im Jahr des
Katzenjam–
mers,
des Kopfwehs und der Enttäuschungen
und werden hoffentlich
sehr bald die
Talsohle
des Tals der Tränen, das zu durchqueren ist,
erreicht haben, um zum Aufbruch zu kom–
men.
Und es sind auch die Veränderungen im Rah–
men der europäischen Integration, zunächst
wirtschaftlich, hoffnungsvollerweise in der
Folge auch politisch, sicherheitspolitisch, die zu
friedvollen, friedenssichemden Neuordnungen
führen. Was die Vertiefung und Erweiterung
der EG als Schaffung einer wesentlichen Säule
der Triade anlangt, so ist zu hoffen, daß das
rasch vor sich geht. Das heißt, das Konzept 92
Binnenmarkt ist gelaufen. In den nächsten
Wochen als Zwischenstufe ist zu erwarten, daß
es zum Europäischen Wirtschaftsraum, d. h. der
Einbeziehung der Efta-Länder kommt, und in
der Folge zu Abschlüssen mit den Reformlän-
dem in Form von Assoziations-Abkommen
oder wie sie schon heißen, Europa-Abkommen,
um sie möglichst rasch zu integrieren, wozu
sicherlich - nicht zuletzt wiederum auch aus si–
cherheitspolitischen Gründen - der big bargain
mit der Sowjetunion gehören wi rd sollen,
gehören wi rd müssen.
Entscheidend ist aber, ob es uns und wie rasch
es uns gelingt, die Veränderungen herbeizufüh–
ren, die aus dem Umbruch, dem Unerwarteten,
des Jahres 89 entstanden sind. Meine Vorredne–
rin Karla Stingl hat das in eindrucksvoller Wei–
se dargelegt welches die Probleme sind. Das
hat nicht nur zur Demokratisierung dieser Län–
der, zur Beendigung des Kalten Krieges geführt;
zur ebenso unerwarteten Vereinigung der
beiden deutschen Staaten, was aber nicht das
einzige Beispiel ist; auch weniger bedeutungs–
voll: die beiden Staaten Jemen sind vereinigt
worden. Es gibt die Annäherung in Korea.
Albanien ist Mitglied der Konferenz für Sicher–
heit und Zusammenarbeit in Europa geworden.
Friedliche Regelungen in einem der Schatzhäu–
ser der Welt, im südlichen Afrika, wurden her–
beigeführt und auch Verständnis über bedauer–
liche Verhältnisse in anderen Teilen Afrikas,
aber auch Mittelamerikas, konnten unter diesen
völlig geänderten geopolitischen Umständen
erzielt werden. Was nicht heißt, daß schon im
Sinne von Kant der ewige Frieden ausgebro–
chen wäre oder das Ende der Geschichte ange–
brochen wäre, wie der Golfkrieg erst vor kur–
zem gezeigt hat. Wie wir uns damit abfinden
müssen, daß es einen islamischen Krisenbogen
von der Westküste Afrikas bis zu den philippi–
nischen Inseln gibt. Aber umso wichtiger ist,
daß wir in unserem eigenen Bereich möglichst
rasch und möglichst erfolgreich unsere Haus–
aufgaben machen. Dies wird ohnehin sehr viel
mehr Zeit, sehr viel mehr Geld und sehr viel
größere Opferbereitschaft der betroffenen
Menschen verlangen, als das jemand erwartet
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