Seite 80 - DIE_WOHNUNGSWIRTSCHAFT_2014_12

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12|2014
RECHT
InsO § 199 Abs. 1 S. 2
Folgen einer Enthaftungserklärung
des Insolvenzverwalters/Treuhänders
Mit dem Wirksamwerden der Enthaftungserklärung des Insolvenz-
verwalters oder Treuhänders hinsichtlich der Wohnung des Schuld-
ners erlangt der Mieter die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis
über das Mitvertragsverhältnis zurück. Dem Insolvenzverwalter oder
Treuhänder fehlt die Prozessführungsbefugnis, gegen den Vermieter
Ansprüche auf Auszahlung von Guthaben aus Nebenkostenabrech-
nungen an die Masse für einen Zeitraum nach Wirksamwerden der
Enthaftungserklärung geltend zu machen.
BGH, Urteil vom 22.5.2014, IX ZR 136/13
Bedeutung für die Praxis
Miet- und Pachtverhältnisse des Schuldners über unbewegliche Gegen-
stände oder Räume bestehen gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO mit Wir-
kung für die Insolvenzmasse fort. Der Verwalter hat das Sonderkündi-
gungsrecht gemäß § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO. Handelt es sich jedoch um
die Wohnung des Schuldners, steht dem Verwalter nur die Möglichkeit
der Enthaftungserklärung zur Verfügung. Gibt der Verwalter die Enthaf-
tungserklärung ab, verbleibt es bis zum Ablauf der Kündigungsfrist des
§ 109 Abs. 1 Satz 1 InsO bei dem Fortbestehen des Mietverhältnisses
mit Wirkung für und gegen die Insolvenzmasse.
Nach Ablauf der Frist können jedoch gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO
Ansprüche, die nach diesem Zeitpunkt fällig werden, nicht im Insolvenz-
verfahren geltend gemacht werden. Die Frage, welche Auswirkungen
die Enthaftungserklärung des Insolvenzverwalters nach Ablauf der in
§ 109 Abs. 1 Satz 1 InsO genannten Frist für das betroffene Wohnraum-
mietverhältnis hat, ist umstritten.
Der Bundesgerichtshof hatte die Frage bisher offengelassen. Er hat sie
nun dahingehend entschieden, dass die Verwaltungs- und Verfügungs-
befugnis hinsichtlich des Mietverhältnisses mit Wirksamwerden der
Enthaftungserklärung in vollem Umfang auf den Schuldner übergeht.
Für den Schuldner wäre es äußerst unpraktikabel, wenn er Erklärun-
gen gegenüber dem Vermieter nicht selbst, sondern nur durch den
Verwalter mit dessen Einverständnis abgeben könnte. Eine eigene
Kündigungserklärung durch den Mieter wäre bei fortbestehender
Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Verwalters unwirksam. Der
Verwalter selbst könnte aber eine Kündigungserklärung überhaupt nicht
abgeben. Eine derartige Bindung des Schuldners an den Mietvertrag
kann nicht angenommen werden. Für den Übergang der Verwaltungs-
und Verfügungsbefugnis auf den Schuldner mit Wirksamwerden der
Enthaftungserklärung spricht auch der Schutz des Vermieters. Diesem
dürfen bestehende Aufrechnungsmöglichkeiten nicht dadurch entzogen
werden, dass die nach § 387 BGB erforderliche Gegenseitigkeit der
Ansprüche durch die Enthaftungserklärung aufgelöst wird. Könnte der
Vermieter danach entstehende Ansprüche nur gegen den Schuldner
geltend machen, während gegen ihn gerichtete neue Ansprüche aus
dem Mietvertrag der Masse zuständen, hätte er wegen der Unzulässig-
keit der Aufrechnung Nachteile hinzunehmen, die mit dem Wesen des
an sich unverändert fortgesetzten Mietvertrages nicht
vereinbar wären.
Rechtsanwalt Heiko Ormanschick, Hamburg
BGB § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 b
Zeitpunkt der Voraussetzungen
einer fristlosen Kündigung
Der Kündigungstatbestand muss im Zeitpunkt der Kündigung nicht
mehr vorliegen. Das Kündigungsrecht des Vermieters ist erst ausge-
schlossen, wenn eine vollständige Befriedigung erfolgt.
LG Flensburg, Beschluss vom 28.3.2014, 1 T 8/14
Bedeutung für die Praxis
Die Räumungsklage der Klägerin war ursprünglich gemäß § 543 Abs. 2
Satz 1 Nr. 3 b BGB begründet. Nach dieser Bestimmung liegt ein wichtiger
Grund zur fristlosen Kündigung eines Mietverhältnisses insbesondere
vor, wenn der Mieter in einem Zeitraum, der sich über mehr als 2 Termine
erstreckt, mit der Entrichtung der Miete in Höhe eines Betrages in Verzug
ist, der die Miete für 2 Monate erreicht. Die Kammer schließt sich der
Auffassung des Amtsgerichts Dortmund an (Urteil vom 2.11.2004, Az.
125 C 10067/04, WuM 2004, 720), das überzeugend ausgeführt hat: „Ein
einmal entstandener Kündigungsgrund erlischt erst dann wieder, wenn
der Vermieter vollständig befriedigt wird (Blank in Schmidt-Futterer,
Mietrecht, 8. Auflage, § 543 Rdn. 115 und 124). Der Begriff ‚vorher’ in
§ 543 Abs. 2 Satz 2 BGB bezieht sich eindeutig auf die Kündigung und
nicht auf die Klageerhebung. Die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung
wegen Zahlungsverzugs erfordert deshalb noch nicht einmal, dass zum
Zeitpunkt der Kündigung der Kündigungstatbestand noch erfüllt ist; es
reicht vielmehr aus, dass der Kündigungstatbestand vor Abgabe der Kün-
digungserklärung verwirklicht war. Erst recht ist nicht erforderlich, dass
der Kündigungsgrund noch zum Zeitpunkt der Klageerhebung bestand.
Das Kündigungsrecht ist vielmehr erst dann ausgeschlossen, wenn der
Vermieter vor der Kündigung vollständig befriedigt wurde (LG Köln, ZMR
2002, 428; LG Köln, WM 1992, 123).“ Dieser Rechtsauffassung folgen,
soweit ersichtlich, auch alle weiteren gerichtlichen Entscheidungen und
Kommentare. Gerade im Fall der außerordentlichen Kündigung nach
§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 b BGB, die für den Fall des Entstehens von Rück-
ständen über einen längeren Zeitraum als zwei Monaten getroffen wurde,
würde eine andere Auslegung dazu führen, dass der Mieter stets der
Kündigungsmöglichkeit entgehen könnte, indem er nach Erreichen eines
Rückstandes von zwei Monaten lediglich eine geringfügige Zahlung vor-
nehmen würde, die den Gesamtrückstand knapp unter die Grenze brächte.
Dies wäre mit dem Zweck des Gesetzes, dem Vermieter eine Kündigungs-
möglichkeit für den Fall einzuräumen, dass die Mietrückstände über einen
längeren Zeitraum eine nicht mehr für zumutbar gehaltene
Höhe erreichen, nicht vereinbar.
Rechtsanwalt Heiko Ormanschick, Hamburg