Seite 37 - wirtschaft_und_weiterbildung_2014_02

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02_2014
wirtschaft + weiterbildung
37
Dadurch wird beeinflusst, wie die Kol-
legen sich untereinander begegnen, wie
mit Lob und Kritik umgegangen wird,
wie Konflikte gelöst werden und wie
der Umgang mit Andersartigkeit ist (hier
sind auch persönliche Werte- und Leis-
tungsstandards gemeint). Es stellt sich
die Frage, wie sich diese „weichen“ Fak-
toren auf die Gesundheit der Mitarbeiter
auswirken. Als Erstes sollte man sich von
der Vorstellung verabschieden, dass man
entweder gesund oder krank ist. Jeder
Mensch ist mehr oder weniger gesund be-
ziehungsweise krank.
Gesundheit und Krankheit sind nur die
Extrempunkte eines Kontinuums, auf
dem wir uns fortwährend bewegen. Es
gibt Belastungsfaktoren, die uns tenden-
ziell in Richtung Krankheit bewegen.
Hierzu zählen physikalische Belastungs-
faktoren (Lärm, Hitze, Staub …), welche
in den letzten Jahren kontinuierlich redu-
ziert worden sind. Was übrig geblieben
ist, sind die psychischen Belastungen,
welche in der Norm EN ISO 10075 als
„die Gesamtheit aller erfassbaren Ein-
flüsse, die von außen auf den Menschen
zukommen und psychisch auf ihn ein-
wirken“ definiert worden sind. Gerade
bei der Erfassung und Reduzierung der
psychischen Belastungen haben viele
Unternehmen und Organisationen noch
erheblichen Handlungsbedarf.
Antworten liefert die Theorie
des Kohärenzgefühls
Die Belastungen beschreiben die von
außen auf den Menschen einwirken-
den Faktoren; die spezifische Reaktion
wird als Beanspruchung beschrieben.
Beanspruchungsfolgen sind Ermüdung,
Stress und Krankheit. Vereinfacht kann
man sagen: Je höher die Beanspruchung,
desto höher ist das Risiko (!) für eine
Erkrankung. Zu welcher Erkrankung es
dann kommt, hängt von vielfältigen Fak-
toren wie genetische Dispositionen oder
Vorerkrankungen ab. Auch wenn die Be-
lastungsfaktoren am Arbeitsplatz mög-
lichst reduziert werden sollten, ist eine
völlige Beseitigung nicht möglich und
auch nicht sinnvoll.
Ein Teil der Belastungen resultieren aus
der Arbeitsaufgabe selbst, für deren Be-
wältigung auch das Arbeitsentgelt be-
zahlt wird: die qualitative und quantita-
tive Arbeitsbelastung. Aus Belastungen
werden nicht automatisch Beanspru-
chungen, sondern diese werden durch
Ressourcen abgefedert. Ressourcen sind
alle Faktoren, die Menschen einsetzen
können, damit aus Belastungen keine
oder weniger Beanspruchung wird. Es
wird zwischen personalen (Fähigkeiten,
bestimmte Lebenseinstellungen, Wider-
standsfähigkeit …) und externalen Res-
sourcen (Freunde, Familie, Kollegen …)
unterschieden. Eine wichtige externale
Ressource ist in diesem Zusammenhang
der Vorgesetzte, weil er Einfluss hat auf
die Gestaltung weiterer äußerst wichtiger
Ressourcen.
Die arbeitswissenschaftliche Forschung
hat zahlreiche Faktoren identifiziert, die
wichtige Ressourcen darstellen und hel-
fen, personale Kraftquellen aufzubauen.
Für den Führungsalltag sind all diese
Ergebnisse oft zu umfassend und eher
verwirrend als klärend. Als pragmatische
Orientierung (und wissenschaftlich fun-
diert) hat sich hier die Theorie des Ko-
härenzgefühls erwiesen, welche all die
Faktoren auf drei Aspekte zurückführt.
Der israelische Medizinsoziologe Aaron
Antonovsky hat sich seit den 1970er Jah-
ren mit der grundlegenden Frage beschäf-
tigt, warum Menschen trotz Belastungen
gesund bleiben.
Die Antwort auf diese Frage fand er in
einer überdauernden Einstellung. Diese
beschreibt er in seinem Buch „Salutoge-
nese – Zur Entmystifizierung der Gesund-
heit“ (1997) als eine „globale Orientie-
rung, die ausdrückt, in welchem Ausmaß
man ein durchdringendes, dynamisches
Gefühl des Vertrauens hat, dass die Sti-
muli, die sich im Verlauf des Lebens aus
der inneren und äußeren Umgebung er-
geben, strukturiert, vorhersehbar und er-
klärbar sind; einem die Ressourcen zur
Verfügung stehen, um den Anforderun-
gen, die diese Stimuli stellen, zu begeg-
nen. Diese Anforderungen sind Heraus-
forderungen, die Anstrengung und Enga-
gement lohnen“.
Kurz gesagt: Das Leben wird charakteri-
siert durch ein Gefühl der Verstehbarkeit,
der Handhabbarkeit und der Sinnhaftig-
keit. Diese Orientierung nannte Anto-
novsky das Kohärenzgefühl. Zahlreiche
internationale Untersuchungen haben
inzwischen gezeigt, dass Menschen mit
einem ausgeprägten Kohärenzgefühl er-
folgreicher mit schwierigen Situationen
umgehen können. Gesund führen bedeu-
tet entsprechend, dass die Führungskraft
darauf achtet, dass die Mitarbeiter ein Ge-
fühl der Verständlichkeit, der Handhab-
barkeit und der Sinnhaftigkeit entwickeln
können. Im Folgenden werden für diese
drei Bereiche exemplarisch Möglichkeiten
vorgestellt.
Aspekt 1:
Das Gefühl der „Verständlichkeit“
„Ich weiß gar nicht, warum sich meine
Mitarbeiter beschweren, dass sie zu
wenig Informationen bekämen. Alles,
was ich an E-Mails und Umläufen be-
komme, leite ich an sie weiter“, berichtet
eine Führungskraft. Aber die Herausfor-
derung des 21. Jahrhunderts besteht nicht
darin, Informationen zu bekommen, son-
dern die wirklich relevanten zu erken-
nen. Viele Beschäftigte leiden unter der
Informationsflut und es fällt ihnen immer
schwerer, mit der Masse der täglichen