Seite 64 - wirtschaft_und_weiterbildung_2014_09

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grundls grundgesetz
64
wirtschaft + weiterbildung
09_2014
Dem Ruf nach mehr Weiblichkeit in der Führung
müssen endlich Taten folgen. Dabei geht es nicht
um Geschlechterkampf, sondern um die Integration
des männlichen und weiblichen Pols – zwei Pole,
die unterschiedlicher kaum sein könnten.
Der Mann ist das Auge. Er bringt sich in die Welt.
Es jagt, kämpft, dringt ein, erobert. Der Mann ist
eher rational, statusgetrieben und handelt proaktiv.
Die Frau ist das Ohr. Sie nimmt die Welt in sich auf,
hört zu, reflektiert. Sie ist eher emotional, pragma-
tisch und reaktiv.
Männer suchen Anerkennung, Frauen Aufmerksam-
keit. Er will hören, wie toll er ist. Sie will, dass man
zuhört, versteht, nachempfindet. Männer über-
schätzen sich bei geringer Kompetenz und haben
oft ein ungerechtfertigt starkes Selbstbewusstsein.
Frauen unterschätzen sich bei höherer Kompetenz.
Ihnen mangelt es eher an Selbstvertrauen. Männer
investieren viel Zeit in die Bildung von beruflichen
Netzwerken und Seilschaften, um sich gegenseitig
zu pushen und Frauen von der Macht auszuschlie-
ßen. Frauen hassen diesen Zeiteinsatz. Pragma-
tisch konzentrieren sie sich auf ihre Ziele und die
Notwendigkeit ihrer Arbeit.
Ihnen scheint diese Beschreibung zu platt? Natür-
lich ist sie nicht perfekt, aber mit 80 Prozent
Deckung sehr treffend. Nun, welcher dieser Pole
ist besser? Die Antwort: Weder der eine noch der
andere. Sie existieren einfach. Es geht nicht um
den Vorzug des einen vor dem anderen, sondern
darum, das Beste aus beiden Welten in ein großes,
besseres Ganzes zu integrieren. Es geht nicht um
eine Geschlechterumverteilung in der Wirtschaft.
Frauen, die bessere Männer mimen, gibt es schon
zu viele. Wir brauchen Frauen, die ganz Frau sind.
Sie sollten mehr Macht bekommen. Frau und
Mann, Ohr und Auge – beide Welten müssen für
eine starke Zukunft vereint werden. Als Coach
von Führungskräften erlebe ich täglich, welche
konstruktiven Energien durch eine Integration der
Pole frei werden. Der weibliche Pol bringt genau die
Form des Denkens, die die Wirtschaft der Zukunft
braucht.
Hat die Frauenquote jetzt Sinn? Ja! Auf jeden Fall.
Doch nur als Türöffner – nur, bis das Bewusstsein
geschärft ist. Dann heißt es: Ganz schnell wieder
loslassen! Bevor die „Regulierung von außen“ zu
großen Einfluss nimmt, wird der Markt das besser
regeln. Wie? Ganz einfach durch Ergebnisse. Funk-
tionierende, gemischtgeschlechtliche Teams wer-
den überlegen sein. Wir brauchen Frauen, die mit
einer gesunden Portion Selbstwert der Diskriminie-
rung standhalten, die es immer geben wird. Dazu
benötigen wir Männer, die die Stärken der Frauen
nicht nur anerkennen, sondern ihnen die nötige
Macht einräumen. Jeder, der privat eine intakte
Beziehung führt, kennt das: Der Gegenpol
hilft, um an ihm zu wachsen, um stärker
zu werden. Die Frage, ob Frauen besser
führen, ist völlig unerheblich. Fakt ist: Sie
führen anders – und Deutschland braucht
die Integration des weiblichen Pols in
die Führungsebenen. So ist die Frauenquote eine
Art Impuls, der nicht als generelles Reglement
aufgefasst werden darf. Statt „Wir brauchen mehr
Gleichberechtigung in den Chefetagen“ muss es
heißen: „Wir benötigen mehr Offenheit, aus den
unterschiedlichen Führungsstilen zu lernen und
dadurch zu profitieren. Wir brauchen eine Integra-
tion des weiblichen und männlichen Pols!“
Paragraf 28
Geschlechterkampf
Führung
Boris Grundl ist Managementtrainer, Unternehmer, Autor sowie Inhaber der Grundl Leadership Akademie, die Unternehmen befähigt,
ihrer Führungsverantwortung gerecht zu werden. Grundl gilt bei Managern und Medien als „der Menschenentwickler“ (Süddeutsche Zeitung).
Sein neues Buch heißt: „Die Zeit der Macher ist vorbei. Warum wir neue Vorbilder brauchen.“ (Econ Verlag, 2012, 304 Seiten, 19,99 Euro).
d
Boris Grundl
Wir benötigen deutlich mehr Offenheit,
von unterschiedlichen Führungsstilen
zu lernen.