fachliteratur
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wirtschaft + weiterbildung
10_2014
„In Deutschland ist es einfacher, Forschung über das
Sexualleben älterer Manager zu betreiben als über
ihre Fehler“, klagt der Fehlerforscher Michael Frese.
Statistische Erhebungen zum Thema stützen Freses
Eindruck: In einer internationalen Vergleichsstudie
zur Fehlertoleranz landete Deutschland auf dem vor-
letzten Rang – von 61 Staaten. Die beiden Belege,
die sich in Jürgen Schaefers Buch „Lob des Irrtums“
finden, zeigen: Es gibt im Fehler-Management deut-
scher Unternehmen noch großen Nachholbedarf.
Mehr Fehlertoleranz ist nicht nur ideell erstrebens-
wert: Unternehmen, die ein gutes Fehler-Manage-
ment betreiben, könnten ihren Gewinn um bis zu 20
Prozent steigern – das legen die Ergebnisse einer in-
ternationalen Studie nahe, die der Journalist Schae
fer ebenfalls zitiert. Zudem könnten Unternehmen so
die Kreativität ihrer Mitarbeiter anregen.
Was also tun? „Liebe deine Fehler“? So einfach, wie
es das Fazit von Schaefers Fehler-Epos suggeriert,
ist es dann aber doch nicht. Das zeigen die 215 Sei-
ten, die dem Fazit vorausgehen. Dort zieht der Autor
verschiedene Kronzeugen zur Fehleranalyse heran:
Erkenntnisse der Neuro- und Sozialwissenschaften
ebenso wie Philosophie, Psychologie und Evoluti-
onsgeschichte. Anhand zahlreicher Beispiele zeigt
Schaefer, wie nicht nur der Mensch, sondern auch
die Natur irrt. Exemplarisch dafür nennt er Mutati-
onen in der Natur im Laufe der Evolution: Zunächst
sind diese nur Kopierfehler im Erbgut – aber unter
bestimmten Umständen bedeuten sie einen Vorteil
beim Überleben der Spezies. Dies dient Schaefer als
Beleg für seine Botschaft: Fehler sind nicht per se
schlecht. Wir können von ihnen lernen.
In einem eigenen Kapitel überträgt Schaefer diese
Erkenntnisse auf Organisationen und fordert, dass
diese nicht nur fehlertoleranter, sondern sogar feh-
lerfreundlicher werden müssen. Wer Fehler unter
drückt, riskiert nach Frese nämlich dreierlei – ers
tens: Die Mitarbeiter machen lieber nichts, als einen
Fehler zu riskieren, zweitens: Sie vertuschen Fehler,
drittens: Sie bauen einen bürokratischen Regelappa-
rat auf, um Fehler künftig zu vermeiden.
Nur wer um die Natur von Fehlern weiß, so eine
weitere Anregung Schaefers, kann diese künftig ver-
meiden. Dazu empfehlen wir dieses Buch, denn es
liefert nicht nur jede Menge neue Erkenntnisse für
den (Berufs-)Alltag, sondern ist darüber hinaus auch
noch sehr intelligent und spannend geschrieben.
Fortschritt durch Fehler
Fehler-Management
Jürgen Schaefer
ist Journalist. Als Redakteur der
Zeitschrift Geo ist er vorwiegend
in Südamerika und den USA
unterwegs. Zuvor hat Schaefer
lange Zeit in New York und Havanna gelebt. Im Jahr
2011 ist sein Erstlingswerk mit dem Titel „Genie oder
Spinner“ erschienen.
AUTOR
Jürgen Schaefer
Lob des Irrtums: Warum es ohne Fehler
keinen Fortschritt gibt, C. Bertelsmann,
München 2014, 256 Seiten, 28,50 Euro
Foto: Carmen Diaz Perez