Seite 40 - wirtschaft_und_weiterbildung_2013_02

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training und coaching
40
wirtschaft + weiterbildung
02_2013
Was hat Sie zur Entwicklung Ihres
populären, neunstufigen Konfliktmodells
inspiriert?
Glasl:
1967 begann ich als Mitarbeiter am
NPI-Institut für Organisationsentwicklung
in den Niederlanden mit der praktischen
Mediationsarbeit in Organisationen. Da-
mals gab es nur sehr bruchstückhafte
Ansätze zu Eskalationstheorien und ein
42-stufiges Modell von Hermann Kahn,
das er für internationale Konflikte ent-
wickelt hatte. Weil mir von Anfang an
klar war, dass jede Konfliktsituation ein
eigenes, passendes Vorgehen erfordert,
achtete ich auf die unterschiedlichen In-
tensitätsstufen von Konflikten, mit denen
ich zu tun hatte.
Durch die Auswertung von mehreren
hundert realen Fällen in Organisationen
fielen mir immer mehr die Ähnlichkeiten
und Unterschiede auf. Ich begann sie zu
systematisieren, verglich sie mit anderen
empirischen Forschungsergebnissen und
so entstand in reger Auseinandersetzung
mit eigenen Praxiserfahrungen und For-
schungsergebnissen anderer Konflikt-
forscher allmählich dieses Modell. Erst
später habe ich dazu durch Hinweise
von Kollegen auch archetypische Hinter-
gründe der Regressionsprozesse erkannt,
die ich in der Eskalationsdynamik ent-
deckt hatte.
Wie passt die Mediation eigentlich zum
ach so machtbewussten Geschäftsle-
ben?
Glasl:
Der Nutzen der Mediation in der
Arbeitswelt hat sich ganz deutlich herum-
gesprochen. Viele Organisationen nutzen
Angebote von Beratern, Coachs und Me-
diatoren, und mehr und mehr Organisa-
tionen schaffen auch organisationsintern
Ansprechpartner für Menschen in Not,
sogenannte „Konfliktlotsen“, und institu-
tionalisieren Vermittlungs- oder Schlich-
tungsverfahren. Ich bin überzeugt, dass
immer mehr Menschen und Organisati-
onen erkennen werden, dass Differenzen
besser durch konstruktive und koope-
rative Ansätze und nicht durch Gewalt-
oder Machteingriffe gelöst werden.
Was sind Ursachen für diese Entwicklung?
Glasl:
Es gibt mehrere Faktoren, die diese
Entwicklung begünstigen: Gegen Ge-
richtsverfahren spricht sehr vieles, denn
die Gerichte sind oft überarbeitet und
müssen den Beginn eines Verfahrens auf-
schieben und die Prozesse dauern in der
Regel lange. Darüber hinaus ist der Aus-
Man darf bei Ihnen bestimmt von einer
Berufung reden, wenn man Ihr
Engagement für die Konfliktforschung und
die Mediation betrachtet?
Professor Dr. Friedrich Glasl:
Ja, Konflikt-
management, Mediation und Friedensar-
beit sind wirklich meine Berufung. Als
Jahrgang 1941 habe ich die Kriegshand-
lungen der letzten Wochen des Zweiten
Weltkrieges rund um Wien intensiv mit-
erlebt und wuchs dann in der Stadt auf,
die deutlich die Wunden des Krieges trug.
Mein Vater erlebte als Soldat nicht mehr
das Ende des Krieges, und da war es mir
schon als Kind eine brennende Frage, wie
es so weit kommen kann, dass Menschen
einander so viel Gewalt antun.
Das war mein Motiv, warum ich nach Ab-
schluss meiner Berufslehre als Schriftset-
zer noch das Abitur nachholte und Poli-
tikwissenschaften, Psychologie und etwas
Philosophie studierte. Meine Doktorarbeit
war dem Thema Kriegsverhütung gewid-
met, meine spätere Habilitationsschrift
den theoretischen und praktischen Fra-
gen des Konfliktmanagements in Organi-
sationen. Und dann war es natürlich nur
ein kleiner Schritt in die berufliche Praxis
der Mediation und des Konfliktmanage-
ments.
Interview.
Der Organisationsberater und Konfliktforscher Friedrich Glasl,
Salzburg, eröffnete im November 2012 in Ludwigsburg mit einer eindrucks-
vollen Keynote den „ersten gemeinsamen Mediationskongress“ von drei
Bundesverbänden für Mediation. Bei dieser Gelegenheit sprach „wirtschaft +
weiterbildung“ mit Glasl über die notwendigen Kompetenzen von Mediatoren.
„Mediatoren sollten
Mehrfach­qualifizierungen
aufweisen“
Foto: Trigon