Seite 64 - wirtschaft_und_weiterbildung_2013_01

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grundls grundgesetz
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wirtschaft + weiterbildung
01_2013
„Das motiviert mich nicht“, stellt meine Vertriebs-
mitarbeiterin im Innendienst fest. Sie verschränkt
ihre Arme, lehnt sich zurück in ihrem Bürostuhl und
rollt ihre Unterlippe nach vorne. Sie schaut mich,
den Marketing- und Vertriebsdirektor, herausfor-
dernd an. Gerade hatte ich eine neue Vertriebsstra-
tegie vorgestellt. 22 Mitarbeiter sind anwesend.
44 Augen schauen mich voller Spannung an. Sie
warten auf meine Reaktion. Ich kann ihre Gedan-
ken förmlich hören: Wie wird er damit umgehen?
Verliert er die Fassung? Sie starren mich an. Stille.
Ich warte ab. Dann sage ich ruhig: „Ich motiviere
niemanden, ich arbeite mit motivierten Menschen
zusammen.“
„Das ist aber gemein“, werden manche sagen.
„Endlich mal Klartext“, sagen andere. Was ist denn
eigentlich gemein? Wenn man die überzogenen
Erwartungshaltungen von Abhängigkeitskonsu-
menten wie dieser Vertriebsmitarbeiterin zurück-
leitet? Die Angriffsenergie zum Ausgangspunkt
zurückleitet, wie beim Judo? Und sie damit zwingt,
sich über sich und ihr Maß an Selbstverantwortung
Gedanken zu machen? Das ist nicht Gemeinheit.
Das ist Klarheit. Gemein ist, wenn Sie sich von
jemandem Geld leihen, der an Alzheimer erkrankt
ist. Es gibt nichts, das Ihre Führungsaufgabe stär-
ker behindert als Mitarbeiter, die Sie mit der Gerte
zu jeder Einzelaufgabe treiben müssen. Mitarbeiter,
die denken, die Führungskraft sei verantwortlich
für ihre Motivation, ihre Stimmung, ihr Glück. Sol-
che emotionalen Zecken erinnern mich an Fußpilz:
leicht zu kriegen, schwer loszuwerden.
Natürlich muss durch Führung Motivation entste-
hen. Die Frage ist jedoch, auf welchem Weg? Ener-
getische Motivation ist ein Relikt aus der Vergan-
genheit. Die Zeit, in der die Verführer der Massen-
motivation Säle füllten, um durch ihr „Tschakka“
und „über glühende Kohlen laufen“ tausende Men-
schen in Hysterie versetzten, ist vorbei.
Was hier im Großen passierte, passiert heute noch
oft im Kleinen. Der Gedanke, ein anderer müsse
mich motivieren, ist eine Bankrotterklä-
rung an mein Niveau von Selbstverantwor-
tung. Motivation durch Führung – das ist
die Antwort für heute. Das bedeutet, dass
ich andere Menschen durch fordernde
Fragen dazu bringe, nachzudenken. Wie
klar sind meine Ziele? Wie wichtig sind mir diese
Ziele wirklich? Reichen mein Know-how und meine
Erfahrung, um die Ziele zu erreichen? Motivation
entsteht, wenn jemand anderen zeigen will, was
er selbst in sich entdeckt hat. Deswegen ändern
sich Motive im Laufe der persönlichen Entwicklung
sehr. Während bei einem Karrierestarter das Motiv
häufig im Vordergrund steht, „es anderen zeigen
wollen“, wird ein erfahrener Mitarbeiter vom Bei-
trag „zum großen Ganzen“ angetrieben. Was für
ein Unterschied!
Menschenentwicklung bedeutet, andere zu befähi-
gen, ein höheres Niveau an Selbstverantwortung
zu erreichen. Leichter gesagt als getan, doch im
Grunde geht es genau darum: dass Menschen
immer tiefer befähigt werden, Selbstverantwortung
zu übernehmen. Selbst-verantwortlich heißt, Ant-
worten auf die Herausforderungen zu finden, die
ihnen im Berufsleben begegnen. Stellen Sie sich
vor, auf der Stirn jedes Mitarbeiters steht ein Satz
der genialen Maria Montessori geschrieben: „Hilf
mir, es selbst zu tun.“ Wer diesen Satz befolgt,
macht als Führungskraft vieles richtig.
Paragraf 11
Motivation heißt auch
Selbstverantwortung
Boris Grundl ist Managementtrainer, Unternehmer, Autor sowie Inhaber der Grundl Leadership Akademie, die Unternehmen befähigt,
ihrer Führungsverantwortung gerecht zu werden. Grundl gilt bei Managern und Medien als „der Menschenentwickler“ (Süddeutsche Zeitung).
Sein neues Buch heißt: „Die Zeit der Macher ist vorbei. Warum wir neue Vorbilder brauchen.“ (Econ Verlag, 2012, 304 Seiten, 19,99 Euro).
d
Boris Grundl
Ich motiviere niemanden, ich
arbeite mit motivierten Menschen
zusammen.