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01_2013
wirtschaft + weiterbildung
49
Als Streitschrift
versteht sich das Buch
„Unternehmen in der Psychofalle“
(Verlag Businessvillage, Göttingen 2012,
252 Seiten, 24,80 Euro) von Dr. Regina
Mahlmann. Sie arbeitet als Unterneh-
mensberaterin, Coach und Autorin und ist
spezialisiert auf die Themen soziale und
emotionale Kompetenz, Führung und
Konfliktkompetenz.
zu System- und Organisationstheorie be­
trifft. Bedauerlich ist, dass sie es für nötig
befindet, derart zu polemisieren und
zwischen den wissenschaftlichen Dis­
ziplinen zu polarisieren. So schüttet sie
gewissermaßen das Kind mit dem Bade
aus. Auffallend in den Ausführungen von
Mahlmann ist, dass sie häufig zwischen
den Darstellungen von psychologisch-
psychotherapeutischen Strömungen,
Grundlagentheorie und Grundlagenkon­
zepten einerseits und der Realität des
zeitgenössischen Führungsalltags ande­
rerseits springt.
Soziologische Systemtheorie
statt Psychologie?
Der wirtschaftspsychologische Zweig mo­
derner Psychologie findet bei ihr keine
Erwähnung. Alles, was die Psychologie
(genauer genommen: die Psychotherapie­
landschaft) zu bieten hat, wird von ihr
kritisch unter die Lupe genommen und
unter der Prämisse, sie wolle sich durch
den Lieferanteneingang in der Personal­
wirtschaft einschleichen, als unbrauchbar
entlarvt. Zugeständnisse werden hier nur
bei der Verhaltenspsychologie gemacht,
die – aber bitte nicht im Gewand der
Verhaltenstherapie(!) – noch am ehesten
als Handwerkszeug für Manager umge­
schrieben werden darf. Dabei ist es heute
selbstverständlich und überhaupt nicht
ehrenrührig, wenn Dienstleister wie Psy­
chologen oder Coachs sich da versuchen
zu etablieren und mit eigenem Mehrwert
nützlich zu machen, wo Wertschöpfung
stattfindet.
Nützlich und anschaulich sind die Bei­
träge von Managern und Führungskräf­
ten, die erfreulicherweise im Originalton
im Buch zum Thema zu Wort kommen.
Die Äußerungen der Manager sind, im
Vergleich zu den hetzerisch anmutenden
Darstellungen der Autorin, bodenständig.
Der Tenor lautet: Klar, dass ein Unterneh­
men kein Ponyhof ist und dass die wich­
tigsten Ziele Umsatz und Gewinn sind.
Trotzdem gewinnt man den Eindruck,
dass die Führungskräfte mit gutem Men­
schenverstand täglich selbst entscheiden,
wie viel Psychologie, wie viel Empathie
und menschliches Entgegenkommen im
Führungsalltag notwendig sind - auch im
Interesse des Unternehmenserfolgs.
So viel zu den Wegen „rein in die Psycho­
falle“. Aber was führt nun laut Mahlmann
wieder hinaus? Hier fokussiert die Auto­
rin auf die System- und Organisationsthe­
orie und die Verhaltenswissenschaften.
Die Kernbotschaft des Buches illustriert
folgendes Zitat: „Die Einführung der
System/Umwelt-Differenz und die damit
verbundene nur partielle Inklusion des
ganzen Menschen mithilfe des Konzepts
von Person, Rolle und Funktion helfen,
Systemkomplexität und Anforderungen
an Führende zu reduzieren.“ Mahlmann
setzt also auf die „soziologische System­
theorie“ und behauptet tapfer: „Psycholo­
gisierung macht Führen zu einem hyper­
komplexen und nicht leistbaren Unterfan­
gen, weil sie die Gesamtpersönlichkeit,
das Individuum, als nicht teilbare Einheit
ins Unternehmen einschleust. Das sozio­
logische differenz- und systemtheore­
tische Paradigma zeigt, dass dies nicht
zwangsläufig ist.“ Die Zitate zeigen auch,
wie schwierig dieses Buch zu lesen ist.
Zusammengefasst geht es der Autorin
darum, Führungskräfte vom psycholo­
gischen Ballast zu befreien, indem sie die
Mitarbeiter wieder verstärkt auf ihre Rol­
len und Funktionen im Unternehmen ver­
weisen, also den transaktionalen Rahmen
wieder hervorheben (transaktionale Füh­
rung als Austauschprozess nach James
Downtown, den dieser in einem Buch aus
dem Jahr 1973 beschreibt: „Rebel Leader­
ship. Commitment and Charisma in the
Revolutionary Process“).
Ihre Forderung nach Entpsychologi­
sierung illustriert Mahlmann – sehr
konstruktiv für die weitere Diskussion
– indem sie in ihrem Buch ein „Füh­
rungsmanifest“ veröffentlicht. In diesem
Text wendet sich eine imaginäre Füh­
rungskraft in direkter Rede und in einer
respektvollen Weise mit den eigenen
Erwartungen an ihre Mitarbeiter und
spricht sie als erwachsene und selbst­
verantwortliche Mitglieder des Systems
an. Diese Führungskraft kann als Modell
verstanden werden – allerdings nicht
nur als systemtheoretisch orientierte
Führungskraft, sondern als eine, die die
Verbindung zwischen Systemtheorie und
dem angemessenen, psychologischen
Umgang mit Mitarbeitern beherrscht.
Diese Führungskraft hat vermutlich von
einem „Führungspflichtenheft“, mit dem
Mahlmann zu Beginn des Buchs ihre
Leser erschreckt, noch nie etwas gehört.
Die Kernfrage des Buches („Wie viel Psy­
chologie braucht das Management?“) ist
sicherlich eine spannende, interessante
aber nicht gerade drängende Frage. Ich
vermute leider, dass die Autorin mit
ihrem Buch dem öffentlichen Diskurs und
der Annäherung an eine Antwort keinen
guten Dienst erwiesen hat.
Christoph Burkhardt
Christoph
Burkhardt,
Di p l om- Psycho -
loge, arbeitet als
Business Coach
und Organisationsberater für mittel-
ständische und große Unternehmen.
Im Jahr 2003 gründete er „Burkhardt
Coaching“ und spezialisierte sich auf
Executive und Team Coaching sowie
auf Führungsseminare. Er ist Mitglied
in der International Coach Federation
(ICF) und dem Berufsverband Deut-
scher Psychologinnen und Psycholo-
gen (BDP).
Burkhardt Coaching
Weender Straße 102, 37073
Göttingen, Tel. 0551 4886851
Autor