Seite 62 - wirtschaft_und_weiterbildung_2013_11-12

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fachliteratur
62
wirtschaft + weiterbildung
11/12_2013
Die vorläufige Antwort auf die im Buchtitel gestellte
Frage lautet: Das Gehirn kann das Gehirn (noch)
nicht verstehen. Zu viele blinde Stellen gibt es in
der Hirnforschung, als dass die Wissenschaftler die
Funktionsweise des menschlichen Gehirns auch nur
annähernd komplett beschreiben könnten. Matthias
Eckoldt versucht in seinem Buch eine Antwort da-
rauf zu geben, wie der Status Quo der Wissenschaft
ist – aber auch zu zeigen, wo sie an ihre Grenzen
stößt. Dazu hat er neun führende Hirnforscher be-
fragt: Hans J. Markowitsch, Gerald Hüther, Henning
Scheich, Christoph von der Malsburg, Gerhard Roth,
Angela D. Friederici, Randolf Menzel, Wolf Singer
und Frank Rösler. In halbstrukturierten Interviews
geben diese Antworten auf zentrale Fragen der Hirn-
forschung sowie zu ihrem jeweiligen Spezialgebiet.
Die grundlegenden Themen wiederholen sich in den
Interviews und sind deshalb spannend, weil die For-
scher sie unterschiedlich beurteilen, etwa wie der ak-
tuelle Stand der Hirnforschung ist, wie die Wissen-
schaftler die Möglichkeit eines Paradigmenwechsels
in der Disziplin einschätzen, was Bewusstsein und
was freier Wille ist. Und: Eckoldt konfrontiert seine
Interviewpartner mit dem sogenannten „Manifest“
aus dem Jahr 2004, in dem elf führende Hirnforscher
den damaligen Kenntnisstand der Wissenschaftler
mit dem von Jägern und Sammlern verglichen.
Eckoldt ist bei den Interviews nicht nur Fragesteller:
Er kommentiert, ordnet ein, gibt Stichwörter oder
erläutert eben mal in einem Nebensatz eine Grund-
lage der Hirnforschung, sodass auch der fachfremde
Leser die Zusammenhänge verstehen kann. Wie der
Titel selbst gehen auch die Gespräche über die Hirn-
forschung hinaus. Es ergeben sich philosophische
Diskussionen, die sich buchstäblich um Gott und
die Welt drehen: Mit Menzel führt Eckoldt etwa „Ge-
spräche über Gott bei einem Glas Bier“, mit Hüther
über die Ressourcenausnutzungskultur; im Interview
mit Markowitsch gibt es eine „Kontroverse um den
Determinismus“, mit Roth debattiert der Autor über
„Geist und Materie“, mit Scheich gar über sprach-
begabte Hunde. So versuchen die Wissenschaftler,
die Welt um uns herum ausgehend von der Welt in
unserem Kopf zu erklären.
Philosophische Gespräche über
Gott und sprachbegabte Hunde
Hirnforschung
Matthias Eckoldt
hat Philosophie, Germanistik
und Medientheorie studiert. Er
promovierte mit einer system­
theoretischen Analyse der Mas­
senmedien. Sein Romandebüt, „Moment of excel­
lence“, erschien im Jahr 2000. Seither hat Eckoldt
einen Prosaband, einen weiteren Roman, ein Fachbuch
und den Essayband „Wozu Tugend?“ (gemeinsam mit
René Weiland) veröffentlicht. Der Autor, der als Schreib­
dozent an der Freien Universität Berlin lehrt, verfasst
zudem Radiomanuskripte und schreibt für die Bühne:
2013 wurde sein Theaterstück „Wie ihr wollt – Ein Lust­
spiel zur Freiheit“ uraufgeführt.
AUTOR
Foto: Paul Landers
Matthias Eckoldt:
Kann das Gehirn das Gehirn verstehen? Gespräche
über Hirnforschung und die Grenzen unserer Erkenntnis,
Carl-Auer, Heidelberg 2013, 250 Seiten, 29,95 Euro