Seite 64 - wirtschaft_und_weiterbildung_2012_04

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grundls grundgesetz
64
wirtschaft + weiterbildung
04_2012
Gutmenschen – Menschen, die es gut meinen,
aber nicht gut machen – erkennt man an ihrer auf-
gestauten Wut. Sie sind innerlich wie Kinder, die
ständig mit dem Fuß stampfen, weil es nicht nach
ihrer Nase geht. Dahinter steckt ein aufgeblähtes
Ego. Ihr Verhalten entlarvt ihre maßlosen Ansprü-
che an das Leben. Gutmenschen sehen zuerst die
Ungerechtigkeiten in der Welt. Sie regen sich über
alles und jeden auf. Sie träumen und erzählen von
Idealen. Ideale, die sie von anderen erwarten, aber
selbst nicht leben.
Ja, es gibt viel Ungerechtigkeit und viel Unglück
in der Welt. Es gibt Erdbeben, Tsunamis und Vul-
kanausbrüche. Es gibt Korruption, Profitgier und
Ausbeutung. Genauso gibt es das Gegenteil. So
ist unsere Welt nun einmal. Wir haben nur diese
eine, und es gibt nur diese Menschen. Das, was
für die permanenten Nörgler und Weltverbesserer
gilt, beobachte ich auch in der Führung. Da wird
zuallererst nach Gründen im Außen gesucht, nur
um nicht bei sich selbst anzufangen. Der harte
Wettbewerb, die ständige Erreichbarkeit, der böse
Mutterkonzern, die unengagierten Mitarbeiter, die
hohen Zielvorgaben, der ständige Leistungsdruck
– all das sind bekannte Ausreden, die helfen, die
eigene Verantwortung zu minimieren.
Führungskräfte, die ihre schwache Wirkung und
ihren Mangel an Führungsqualität hauptsächlich
mit der äußeren Misere begründen, haben eines
noch nicht verstanden: Entscheidend ist nicht, was
dir im Leben passiert oder zustößt. Entscheidend
ist, was du daraus machst. Jeder hat in seinem
Rahmen die Möglichkeit, sein Leben selbst zu
interpretieren. Es gibt ein Geschenk des freien
Willens – jenseits dessen, was uns an Ungerech-
tigkeiten und Druck von außen widerfährt. Gerade
Führungskräfte sollten dieses Geschenk anneh-
men, ihre innere Freiheit entwickeln und dazu nut-
zen, das Beste aus sich und den Menschen um sie
herum zu machen.
Um andere zu fördern, muss
ich zuerst meinen freien Willen
erkennen und anwenden. Erst die
Tatsache, dass ich mich selbst
verändere, bringt Entwicklung.
Manchmal sagen Zuhörer meiner
Vorträge: „Herr Grundl, Sie haben doch ein Leben
genau so, wie Sie es wollen.“ Ich weiß dann nicht,
ob ich lachen oder weinen soll. Ich soll ein Leben
ganz nach meinen Wünschen haben? Ich sitze im
Rollstuhl und bin zu 90 Prozent gelähmt. Das ist
die Realität, die ich akzeptieren muss. Tatsache
ist, dass ich mir im Rahmen dessen einen Raum
geschaffen habe, in dem ich sein kann. Und ich
behaupte: Das kann jeder Mensch, egal, wie hart
die Wirklichkeit, mit der er sich abfinden muss, im
Moment aussieht.
Die größte innere Freiheit, die wir erlangen können,
ist die Freiheit, den Dingen, die uns geschehen,
unsere eigene Bedeutung zu geben. Eine Bedeu-
tung, die uns selbst inspiriert und damit auch
andere. Das ist mentale Höchstleistung: Selbst
durchdenken und interpretieren, nicht nachplap-
pern. Menschen sind dann zu echter innerer Frei-
heit in der Lage. Aber dafür müssen sie aufhören,
eine bessere und gerechtere Welt zu fordern und
sich mit der Welt und den Menschen versöhnen.
Konrad Adenauer brachte es auf den Punkt: „Nimm
die Menschen, wie sie sind. Andere gibt es nicht.”
Paragraf 4
Der freie Wille ist das
wertvollste Geschenk.
Nimm es an!
Gerade Führungskräfte sollten das
Geschenk des freien Willens
annehmen, um das Beste aus sich
und ihren Mitarbeitern zu machen.
Boris Grundl ist Managementtrainer, Unternehmer, Autor sowie Inhaber der Grundl Leadership Akademie, die Unternehmen befähigt,
ihrer Führungsverantwortung gerecht zu werden. Grundl gilt bei Managern und Medien als „der Menschenentwickler“ (Süddeutsche Zeitung).
Sein Führungsklassiker heißt: „Leading Simple. Führen kann so einfach sein.“ (Gabal Verlag, Offenbach 2007, 192 Seiten, 19,90 Euro).
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Boris Grundl