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wirtschaft + weiterbildung
04_2012
Er kennt alle Ratschläge, die in den neu-
esten Selbstmanagementbüchern stehen,
obwohl er kein einziges gelesen hat.
„Meine Burn-out-Klienten erzählen mir
immer haargenau wie die aktuellsten
Planungstools aussehen“, berichtet Dr.
Gunther Schmidt, Ärztlicher Direktor der
SysTelios Privatklinik für Psychotherapie
und psychosomatische Gesundheitsent-
wicklung in Wald-Michelbach bei Hei-
delberg. „Aber in der Praxis helfen diese
Werkzeuge dann doch nicht weiter, weil
diesen Menschen das Unbewusste einen
Strich durch die Rechnung macht.“
So gibt es laut Schmidt nicht wenige Füh-
rungskräfte, die in ihrer Jugend ein paar
Werte mitbekommen haben, die in ihnen
für den Rest des Lebens als brutale An-
treiber wirken. Typische Antreiber lauten
„Ich muss es allen recht machen“ oder
„Ich muss immer perfekt sein“. Seit stän-
dige Erreichbarkeit kein Problem mehr ist,
führen diese inneren „Stimmen“ direkt in
den Burn-out. Man braucht heutzutage
einfach 72 Stunden am Tag, um allen
Anforderungen gerecht zu werden. „Ich
kenne Manager, die sich unter Druck set-
zen, am Ende eines jeden Tags ihr E-Mail-
Konto aufzuräumen“, erzählt Schmidt,
der auch als Business-Coach arbeitet und
Mitbegründer des Deutschen Bundesver-
bands Coaching (DBVC) ist. „Und wenn
sie nach 14 Stunden Arbeit nach Hause
gehen, dann haben sie trotzdem das Ge-
fühl, nicht genug gearbeitet zu haben.“
Diese Menschen engagieren sich sehr und
haben trotzdem immer Schuldgefühle –
wenn sie an ihren Job und erst recht,
wenn sie an ihre Familie denken.
Nach Beobachtungen von Schmidt sind
Burn-out-Klienten sehr oft Führungs-
kräfte mit einer hohen Loyalität gegenü-
ber ihrem Unternehmen und angetrieben
von einer intensiven Pflichterfüllung, die
über die Grenzen der Belastbarkeit hi-
naus gelebt wird. Solche Persönlichkeiten
entscheiden sich häufig unbewusst ein-
seitig für die Pflichterfüllung und gegen
die eigenen Bedürfnisse. Mit der Aufop-
ferung geht eine Gesundheitsgefährdung
einher, die den eigenen Körper schließlich
mit Krankheit reagieren lässt. Den Burn-
out als mangelnde Belastbarkeit (leichte
„Entflammbarkeit“) oder als Schwäche
zu interpretieren, wäre vor diesem Hin-
tergrund ein großer Fehler.
Burn-out als Beginn einer
Sinnsuche
„Ein Burn-out ist eigentlich der Beginn
einer neuen Sinnsuche und die sollte
voller Achtung unterstützt werden“, gibt
Schmidt zu bedenken. Diese Unterstüt-
zung darf aber nicht aus wohlmeinenden
Ratschlägen bestehen. Denn Ratschläge
zum Beispiel zur „richtigen“ Zeitplanung
scheitern daran, dass die im Unbewussten
wirkenden Kräfte stärker sind. Sie kön-
nen nicht durch gute Vorsätze oder durch
noch mehr Wissen über Arbeitstechniken
gebannt (wohl aber durch hypnosyste-
mische Interventionen in Schach gehal-
ten) werden.
Als Systemiker der ersten Stunde weiß
Schmidt natürlich, dass es auch die
„Verhältnisse“ in einer globalisierten
Wirtschaft sind, die dazu führen, dass
immer mehr Arbeitnehmer am Burn-out-
Syndrom erkranken (siehe Interview auf
Seite 24). Andererseits müssen unerträg-
liche Arbeitsbedingungen und Konflikte
nicht automatisch in den Abgrund führen.
„Man kann sie nehmen wie das Wetter“,
rät der Therapeut. „Keiner ist dem Wetter
ausgeliefert, obwohl man es nicht ändern
kann. Man kann sich einen Schutz bauen
und die richtige Kleidung auswählen.“
Auch bei schlechtem Wetter gibt es noch
eine Gestaltungschance. Viele definierten
das Wetter aber als Schicksalsschlag,
sich selbst als Opfer und verfielen in eine
Schockstarre.
Wenn Menschen etwas nicht direkt än-
dern könnten, kämen sie sich gleich als
Opfer vor. Unser gewohntes linear-kau-
sales Denken („Weil das Wetter schlecht
R
04.
das Denken in Mustern und
den
Wechselwirkungen
verschiedener Erlebnisse
05.
(Selbst-)Hypnose wird „nur“
definiert als intensive
Wahrnehmungsfokussierung
06.
zusammengefasst gesagt:
Es geht um kompetenz- und
lösungsorientiertes
Arbeiten.
Dr. Gunther Schmidt (Mitte)
begrüßt Mitglieder der IHK Darmstadt zu einer
Informationsveranstaltung in seiner SysTelios-Klinik.
Foto: Pichler