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Bei Fragen wenden Sie sich bit te an
Führungsqualität steht allerdings noch
einiges im Weg. An erster Stelle, so die
Befragten, die mangelnde Zeit für Füh-
rungsaufgaben. Gefolgt von der Tatsache,
dass noch zu wenige Führungskräfte ihre
Kontrollfunktion zugunsten einer stär-
keren Eigenverantwortung reduzieren.
In die gleiche Kerbe schlägt der dritte
Stolperstein: Führungskräften fällt es
nach wie vor schwer, sich weniger auf die
Anwesenheit als vielmehr auf die Ergeb-
nisse ihrer Mitarbeiter zu konzentrieren.
Was leisten Unternehmen, um ihre
Führungskräfte weiterzuentwickeln?
Der breiten Mehrheit ist mittlerweile in
hohem Maße bewusst, in welche Rich-
tung sich Führung bewegen soll – weg
von fachlicher Führung, hin zum Mitar-
beiter als Mittelpunkt der Führungspra-
xis. Das erfordert aber die Abkehr von
alten Verhaltensmustern – das braucht
Zeit und Geduld seitens Führung, HR
und auch den Mitarbeitern selbst. Da der
HR-Bereich sehr intensiv mit der Füh-
rungsthematik verzahnt ist, sollte diese
Entwicklung vor allem diesen Bereich zu
neuen Denkanstößen veranlassen.
Integrierter Ansatz statt Silovorgehen
Ein Ansatz wäre, die Abteilungs- und
Bereichssilos bei der Entwicklung von
Führung zu reduzieren. In vielen Organi-
sationen beansprucht die HR-Abteilung,
die Führungskräfteentwicklung strate-
gisch zu steuern, ohne aber die jewei-
ligen Fachbereiche in ihre Ansätze und
Konzepte tiefer einzubeziehen. Dadurch
entstehen Modelle, die mit dem Alltag in
vielen Abteilungen des Unternehmens
wenig zu tun haben. Ein integriert-ver-
netzter Ansatz zum Thema Führungsum-
bau, initiiert vom HR-Bereich, könnte ein
wichtiger Baustein sein: Alle relevanten
Akteure sollten an einen Tisch und auf
gleicher Augenhöhe über neue Füh-
rungsgrundsätze diskutieren.
Denn Führung geht alle an. Eine neue
Art der Führung zu entwickeln, gelingt
nur, wenn sich alle als verantwortlich und
beteiligt ansehen – das Topmanagement
als prägendes Vorbild für Führungsver-
halten, der HR-Bereich als der den groben
Rahmen Vorgebende und vor allem die
Manager vor Ort. Sie führen tagtäglich
ihre Teams in einem komplexen Umfeld
und müssen sowohl authentisch vorleben
als auch der Führungskultur des Unter-
nehmens entsprechend agieren. Dieser
oft schmale Grat erfordert Unterstützung
vom HR-Bereich und vom Topmanage-
ment. Wenn HR hier in die Rolle des ope-
rativen Mittlers oder Impulsgebers ginge,
wäre Führung endlich da angelangt, wo
sie hingehört: mittendrin.
Bei der Entwicklung ihrer Führungs-
kraft greift HR häufig auf klassische In-
strumente zurück: Mehr als die Hälfte
der Befragten setzen interne Trainings-
programme ganz oben auf die Tagesord-
nung, gefolgt von den allseits genutzten
externen Trainings und dem Coaching
durch Berater. Damit folgen sie dem kon-
ventionellen Ansatz, über Trainings Ver-
haltensweisen zu verändern. Doch wenn
sich diese individuellen Maßnahmen für
bestehende oder angehende Führungs-
kräfte nicht nachhaltig positiv auf der
kulturellen Ebene der Organisation nie-
derschlagen, können sie auch nicht auf
die gesamte Führungsthematik einwir-
ken. Daher wären ergänzende Aktivitäten
sinnvoll, die zum einen eine neue Füh-
rung als großes Change-Thema ansehen
und zum zweiten Maßnahmen angehen,
die direkt in den Alltag von Führungs-
kräften und Teams eingreifen.
Talent Management hinterfragen
Ganz deutlich wird das Silodenken von
HR bei der Frage, wie Unternehmen
Führungskarrieren planen. Erwartungs-
gemäß ist für die HR-Verantwortlichen
das Talent Management das wichtigste
Instrument, da es klar in ihrem Bereich
angesiedelt ist. Interessant ist, dass die
Führungskräfte aus den Fachbereichen
und die Mitarbeiter ohne Führungsver-
antwortung in puncto Führungskräfte-
planung eher den Zufall am Werk sehen,
sie nennen als entscheidenden Aspekt,
zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein.
Das Talent Management setzen sie dage-
gen auf den letzten Platz. Das konterka-
riert die Aussagen der HR-Verantwort-
lichen, denen zufolge Führungskarrieren
nach einer strukturierten und wohlge-
ordneten Planung verlaufen. Es scheint
so, als ob eine systematische Karriere-
planung zwar auf dem Papier existiert
und in dieser Form mit dem Topmanage-
ment abgestimmt ist. Aber sie wird nicht
gelebt, sondern verläuft in den Augen
der eigentlich Betroffenen zufällig oder
über spontane Netzwerke. HR sollte aus
diesem Grund sein Talent Management
kritisch hinterfragen, ob alles wirklich so
systematisch verläuft, wie es idealtypisch
propagiert wird. Ratsam ist, in einem of-
fenen Diskurs mit der Unternehmenslei-
tung sowie den operativen Fachkräften
zu klären, wie das Talent Management
breiter und integrierter sowie praxisnä-
her aufgesetzt werden kann.
Einfache Lösungen sind bei dem kom-
plexen Thema Führung nicht schnell zu
erwarten. Doch im ersten Schritt würde
schon helfen, wenn sich alle Beteiligten
enger vernetzten und ihre Sichtweisen
übereinanderlegen, um ein gemeinsa­
mes Verständnis zu entwickeln. Davon
sind viele Unternehmen aber noch weit
entfernt. Erst wenn die verschiedenen
Räder ineinandergreifen und keines blo-
ckiert, wächst Führung.
FRANK SCHABEL
ist Leiter
Marketing/Corporate Commu-
nications der Hays AG und Mit-
herausgeber des HR-Reports.
VIDEO
Add-On in der Personalmagzin-App:
Sehen Sie im Interview mit Prof. Jutta
Rump (IBE Ludwigshafen) und Frank
Schabel, welche Schlüsse die Studien-
autoren aus dem HR-Report ziehen.
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