Seite 51 - personalmagazin_2014_09

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O
bwohl die Gefährdungsbeur-
teilung bereits auf die EU-Ar-
beitsschutz-Rahmenrichtlinie
aus dem Jahr 1989 zurückgeht
und seit 1996 auch im deutschen Recht
festgeschrieben wurde, wird sie auch
fast zwei Jahrzehnte später in vielen
Betrieben nicht oder nur unzureichend
umgesetzt. Auch die seit 2013 erforderli-
che Beurteilung der psychischen Belas-
tungen wird eher schleppend eingeführt.
Der nachfolgende Beitrag soll die Gefah-
ren dieser „Vogel-Strauß-Politik“ dar-
stellen und Handlungsanregungen für
Unternehmen liefern.
Gefährdungsbeurteilung als privat­
rechtliche und öffent­liche Pflicht
Bei den Arbeitsschutzvorschriften han-
delt es sich um öffentlich-rechtliche Nor-
men, aus denen ein direkter Anspruch
des Arbeitnehmers nicht abzuleiten
ist. Der Arbeitgeber wird jedoch durch
§ 618 BGB verpflichtet, Schutzmaßnah-
men zugunsten seiner Arbeitnehmer
zu treffen. Er ist verpflichtet, Räume
und Gerätschaften so einzurichten und
Dienstleistungen so zu regeln, dass der
Arbeitnehmer gegen Gesundheitsgefah-
ren „soweit geschützt ist, als die Natur
der Dienstleistung es gestattet“, wie es
das Gesetz formuliert.
Aufgrund dieser Regelung ist aner-
kannt, dass der Arbeitnehmer sich auf
öffentlich-rechtliche Arbeitsschutzvor-
schriften berufen kann. Voraussetzung
dafür ist, dass die Regeln unmittelbar
dem Gesundheitsschutz des Beschäf-
Von
Wolfgang Lipinski
und
Anne Praß
tigten dienen und Gegenstand einer
arbeitsvertraglichen Vereinbarung sein
können. Das Bundesarbeitsgericht hat
im Jahr 2008 (Urteil vom 12.8.2008,
Az. 9 1117/06) entschieden, dass der
Anspruch auf Durchführung einer Ge-
fährdungsbeurteilung nach § 5 Arbeits-
schutzgesetz (ArbSchG) grundsätzlich
Gegenstand eines individualrechtlichen
Anspruchs sein kann. Geklagt hatte ein
Arbeitnehmer, der damit die Durchfüh-
rung der Gefährdungsbeurteilung nach
bestimmten Kriterien erreichen wollte.
Hilfsweise beantragte der Kläger, den
Arbeitgeber zu verurteilen, von seinem
Initiativrecht gegenüber dem Betriebs-
rat unter Beachtung bestimmter Krite-
rien Gebrauch zu machen.
Das BAG wies die Klage aufgrund des
Beurteilungsspielraums des Arbeitgebers
ab. Jedoch sei die Gefährdungsbeurteilung
„unabdingbare privatrechtliche Pflicht
Verpflichtende Gefahrenanalyse
ÜBERBLICK.
Das Gesetz schreibt eine Gefährdungsbeurteilung eines jeden
­Arbeitsplatzes vor. Welche Risiken und Nebenwirkungen dabei zu beachten sind.
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Handschuhe schützen: Vorab sind Gefährdungen
am Arbeitsplatz zu analysieren.