Seite 12 - personalmagazin_2014_10

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SZENE
_DIGITALE ARBEITSWELT
personalmagazin 10 / 14
Bei Fragen wenden Sie sich bit te an
Bauer:
Diese Trennung wird nicht mehr so
scharf existieren, wenn die Produktion
an die Kunden heranrückt. Künftig wer-
den Geschäftsmodelle vom Menschen
aus betrieben. Schwarmintelligenz wird
im Konsumsektor bereits in Projekten
genutzt, etwa von Sportartikelherstel-
lern. Produktentwicklung wird aus dem
Markt vorangetrieben. Wer im Web über
intelligente Lösungen diskutiert und
Ideen abgreift, kann sein Wissen nicht
unter Verschluss halten. Das Internet
prägt die Kommunikationsflüsse. Wenn
Handwerksbetriebe sich über Portale ver-
netzen und Kooperationen übers Internet
vom Handy aus gesteuert werden, wird
sich die Arbeitsweise der Handwerker
ebenso verändern wie die in der Land-
wirtschaft, deren Vertriebswege übers
Web laufen. Oder im Pflegesektor, in dem
ältere Menschen ihre Bestellungen an
komfortabel großen Bildschirmen ankli-
cken oder über Sprachsysteme ordern.
personalmagazin:
Momentan entsteht der
Eindruck, dass Konzerne sich dieser ra-
santen Entwicklung bewusst sind, nicht
aber der Mittelstand oder gar der von
Ihnen genannte Pflegesektor.
Bauer:
Diese Entwicklung wird jedes
Unternehmen ereilen. Die Firmen, die
smart arbeiten, werden gewinnen. Man
darf nicht mehr wie bisher vom Produkt
aus denken, es geht um die Vernetzung
vom Erfinder bis zum Kunden. Noch gibt
es die volldigitalisierte Fabrik nicht, aber
sie wird kommen. Wenn deutsche Unter-
nehmen diese Entwicklung verschlafen,
werden andere in der globalen Wirt-
schaftswelt sie überflügeln. Es geht da-
„Wir brauchen Projektgeist“
INTERVIEW.
Innovationen finden in der Digitalisierung von Arbeitsprozessen statt,
nicht in der Gerätetechnik. IAO-Chef Wilhelm Bauer setzt auf das Internet der Dinge.
personalmagazin:
Digitale Bausteine sind
aus der Arbeitswelt nicht mehr wegzu-
denken. Wie wird die Digitalisierung die
Zukunft des Wirtschaftens bestimmen?
Wilhelm Bauer:
In den Büros ist die Digi-
talisierung heute weiter fortgeschritten
als in Fabriken und bei Dienstleistungen.
Verwaltungsprozesse sind auch in
kleinsten Unternehmen digital organi-
siert. Das papierlose Büro rückt näher.
Vor allem aber arbeiten wir heute in sehr
unterschiedlichen Umgebungen – zu
Hause, im Großraumbüro und unterwegs
im Zug oder im Café. Was das in Zukunft
für den Arbeitsplatz Büro bedeutet, un-
tersuchen wir in unserem Projekt „Office
21“. Wir wollen Aspekte wie die Wir-
kung der Arbeitsumgebung auf die Lei-
stung erforschen, die Voraussetzungen
für Wissensarbeit im virtuellen Raum
und die Auswirkungen unterschiedlicher
Nutzungsmuster der Informations- und
Kommunikationstechnik.
Interessant
wird es auch, die Schnittstellen zu Pro-
duktion und Kunden zu betrachten.
personalmagazin:
Müssen die Fabriken in
der Digitalisierung aufholen, um an den
Schnittstellen die Effizienz zu erhöhen?
Bauer:
Wenn wir von Industrie 4.0 spre-
chen, geht es genau darum. Einzelne
Produktionsschritte werden weiter auto-
matisiert, Leichtbauroboter ermöglichen
eine Rationalisierung auch bei sehr klei-
nen Stückzahlen. Aber die eigentliche,
die radikale Veränderung bringt die Ver-
netzung in der Montage mit sich. Das
physische Produkt kann fast in Echtzeit
nach Kundenwünschen gefertigt werden.
Die durchgängige Vernetzung von E-Com-
merce über den digitalen Entstehungs-
prozess, der mit Computer-Added Design
startet und bei der Auslieferung des smart
gefertigten Produkts endet, verbindet Phy-
sis und Software. Das Internet der Dinge
wird kommen. Die Wertschöpfungskette
muss diesen Prozess abbilden. In der Pro-
duktentwicklung wie im Vertrieb spielen
die Crowd, also internetbasierte Techno-
logien, und Kollaboration eine immense
Rolle. Innovationen finden nicht mehr bei
der Gerätetechnik statt, sondern in den
Arbeitsprozessen.
personalmagazin:
Dienstleister und Pro-
duktionsfirmen standen bisher für zwei
Welten. Gilt das noch?
PROF. DR. WILHELM BAUER
ist Ingeni-
eur und Leiter des Fraunhofer-Instituts für
Arbeitswirtschaft und Organisation IAO in
Stuttgart.
BERND MÜLLER © FRAUNHOFER IAO