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Recht
_restrukturierung
personalmagazin 01 / 14
B
etriebliche
Restrukturie-
rungsmaßnahmen erfassen
regelmäßig mehrere Arbeitsver-
hältnisse. Nicht selten bestehen
in anderen Abteilungen oder Betrieben
des Unternehmens freie Stellen. Oft-
mals erreichen die freien Stellen jedoch
nicht die Zahl der in Wegfall geratenen
Arbeitsplätze, sodass damit nicht allen
von einer Kündigung bedrohten Arbeit-
nehmern Ersatzarbeitsplätze angeboten
werden können.
Die Planung des Restrukturierungs-
prozesses erfordert in derartigen Fällen
eine rechtlich korrekte Auseinander-
setzung mit der Auswahl der zu kündi-
genden Arbeitnehmer und damit einer
rechtssicheren Verteilung der freien Ar-
beitsplätze. In diesem Zusammenhang
ist oft unklar, nach welchen sachlichen
Kriterien und zeitlichen Abläufen Aus-
wahlentscheidungen getroffen, freie
Arbeitsplätze verteilt, Kündigungen
ausgesprochen werden und in welchem
Umfang betriebsverfassungsrechtliche
Belange zu berücksichtigen sind.
Am Anfang steht das dringende
betriebliche Erfordernis
Betriebsbedingte Kündigungen müssen
zunächst durch dringende betriebliche
Erfordernisse bedingt sein. Dies ist re-
gelmäßig der Fall, wenn die Umsetzung
einer unternehmerischen Entscheidung
den bestehenden Beschäftigungsmög-
lichkeiten die Grundlage entzieht und
dazu führt, dass Arbeitsplätze wegfal-
len. Nach den arbeitsgerichtlichen Be-
Von
Sören Seidel
weislastregeln muss der Arbeitgeber
dabei den ersten „Aufschlag“ machen.
Ihm obliegt regelmäßig der substan-
ziierte Vortrag, inwieweit seine unter-
nehmerische Entscheidung den Wegfall
von Arbeitsplätzen bedingt (BAG, Urteil
vom 17.6.1999, Az. 2 AZR 522/98). Die
unternehmerische Entscheidung selbst
ist dagegen nur beschränkt justiziabel.
Keine Sozialauswahl ohne
Vergleichsgruppenbildung
Soweit die Restrukturierung nicht sämt-
liche Arbeitsverhältnisse erfasst, stellt
sich regelmäßig die Frage, ob und nach
welchen Grundsätzen eine Sozialaus-
wahl durchzuführen ist.
Eine Sozialauswahl setzt zunächst die
Bildung einer betrieblichen Vergleichs-
gruppe voraus. Vergleichbar in diesem
Sinne ist ein Arbeitnehmer stets dann,
wenn er die Tätigkeiten eines anderen
Arbeitnehmers derselben Betriebshie-
rarchieebene unter Berücksichtigung
einer zumutbaren Einarbeitungszeit
vollständig übernehmen könnte und
wenn der Arbeitgeber den jeweiligen
Arbeitnehmer ohne Änderung seines
Arbeitsvertrags durch Ausübung sei-
nes Direktionsrechts auf den jeweils
anderen Arbeitsplatz versetzen kann
(BAG, Urteil vom 28.10.2004, Az. 8 AZR
391/03). Eine Vergleichsgruppe umfasst
dementsprechend Arbeitnehmer, die
nach arbeitsvertraglichen und arbeits-
platzbezogenenMerkmalen miteinander
vergleichbar sind.
Innerhalb der auf diese Weise gebil-
deten Vergleichsgruppe ist eine So-
zialauswahl unter Berücksichtigung
abschließend benannter sozialer Kri-
terien (Dauer der Betriebszugehörig-
keit, Lebensalter, Unterhaltspflichten,
Schwerbehinderung) vorzunehmen.
Als Ergebnis der Auswahl stehen die
vergleichsweise schutzwürdigen Arbeit-
nehmer und diejenigen Arbeitnehmer,
denen gegenüber aufgrund vergleichs-
weise geringerer sozialer Schutzwür-
digkeit grundsätzlich eine Kündigung
ausgesprochenwerden kann, fest. Soweit
innerhalb eines Betriebs alle Arbeitneh-
mer einer einheitlichen Vergleichsgrup-
pe von einer Kündigung betroffen sind,
ist eine Sozialauswahl dagegen entbehr-
lich.
Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten
sind umfassend zu prüfen
Eine Beendigungskündigung der im
Rahmen der Sozialauswahl zur Kündi-
gung bestimmten Arbeitnehmer ist im
Übrigen nur dann wirksam, wenn eine
Weiterbeschäftigung auf einem anderen
Arbeitsplatz nicht möglich ist. Für die
Prüfung der konkreten Weiterbeschäf-
tigungsmöglichkeiten gilt ein weiter
Maßstab. Zu berücksichtigen sind nicht
nur sämtliche freie Arbeitsplätze im Un-
ternehmen, sondern auch solche, die vo-
raussichtlich innerhalb der Kündi-
gungsfristen frei werden.
Dies betrifft auch geringwertigere
Arbeitsplätze, wenn die Weiterbeschäf-
tigung des Arbeitnehmers auf einem sol-
chen Arbeitsplatz zumutbar ist. Hierbei
gilt ein großzügiger Maßstab. Lediglich
in Extremfällen (zum Beispiel Pförtner-
stelle für den ehemaligen Personalleiter)
kann das Angebot eines freien Arbeits-
Verteilung freier Arbeitsplätze
Überblick.
Bei betrieblichen Restrukturierungen sind Weiterbeschäftigungsmöglich-
keiten vor Ausspruch von Kündigungen zu prüfen und ordnungsgemäß zu verteilen.