Seite 24 - personalmagazin_2014_07

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Titel
_Macht
personalmagazin 07 / 14
Bei Fragen wenden Sie sich bit te an
tuationen, in denen koordiniert werden
muss, obwohl niemand über Weisungs-
befugnis gegenüber den anderen ver-
fügt, etwa bei Abstimmungen zwischen
Abteilungen oder in selbststeuernden
Teams. Organisationen können beides
durch eine offene Kultur erleichtern.
Solche Koordination ohne Vorgesetz-
tenbefugnisse wird in verschiedenen
Führungskonzepten wie „Empowerment“,
oder laterale Führung thematisiert. Da-
bei werden jedoch die oben behandelten
Grundlagen jeder Interaktion im Geflecht
von Gemeinschaft und Macht meist unge-
nügend beachtet. Diese Dynamiken las-
sen durch einen Vergleich des Führens
mit und ohne Vorgesetztenstatus darstel-
len (siehe Tabelle auf Seite 23).
Die aufgeführten Unterscheidungs-
merkmale in der Tabelle auf Seite 23
sind weitgehend selbsterklärend. Die
sich daraus ergebenden Dynamiken hän-
gen vor allem am Verhältnis von Wissen
und Macht. Viele der zu bewältigenden
Aufgaben werden komplexer, die Anfor-
derungen ändern sich schneller und das
benötigte Wissen muss neben längeren
Ausbildungen vor allem durch Lernen
beimTun erworben werden. Immer mehr
Menschen werden daher „Wissensarbei-
ter“, die selbst ammeisten über ihre Auf-
gaben wissen, wie Peter Drucker 2007
in „Management Challenges for the 21st
Century“ aufzeigte. Weisungen von Vor-
gesetzten sind hier nur begrenzt sinnvoll
oder sogar Glückssache. Weiter kommt
man hier nur durch einen intensiven
wechselseitigen Informationsaustausch
und eine konstruktive Konflikthandha-
bung, die auf Einflussnahme statt auf
Machtausübung setzt.
Die zweite, damit verschränkte Dyna-
mik liegt im Potenzial an restriktiven
Machtgrundlagen, das Vorgesetzte ha-
ben; denn Positionsmacht eröffnet den
Zugriff auf alle anderen restriktiven
Grundlagen. Damit einher geht die
Verführung, sie auch einzusetzen, weil
das eigene Wissen überschätzt wird,
weil der Zeitdruck keine Abstimmung
zuzulassen scheint, man sich im Auf-
stiegskampf erst mal um die eigenen
Interessen kümmern muss und so wei-
ter. Überlegene Macht korrumpiert,
Machtausübung ist die Folge, weniger
angemessenes Wissen wird produziert,
noch weniger weitergegeben und viel
weniger angewendet, die Effektivität
sinkt. Und die gelernten Ansätze zu par-
tizipativer Führung, „Empowerment“,
„Shared Leadership“ oder lateraler Füh-
rung verkümmern, wie unter anderem
Jeffrey Pfeffer belegt.
Was erfolgreiche Führung ausmacht
Was wäre angesichts dieser Dynamiken
zu tun? Gute und Erfolg versprechende
Führung ist am ehesten mit wechselsei-
tiger Einflussnahme und Kooperation,
das heißt mit Einstellungen und Ver-
haltensweisen im Schnittpunkt von Ge-
meinschaft und Macht zu erreichen (sie-
he rechtes, oberes Feld in der Grafik auf
Seite 23). Vorgesetzte sollten führen und
(sich) führen lassen: Führen sollten sie
weitgehend ohne die legalen Machtmittel
der Anweisung und Sanktionen. Eigent-
lich werden diese restriktiven Machtmit-
tel nur benötigt, um die Machtausübung
anderer abzuwehren oder von vornehe­
rein zu unterbinden. Die Verführung zur
Machtausübung kann sowohl durch eine
Kultur der Kooperation und Einflussnah-
me als auch durch ein besseres Macht-
gleichgewicht, etwa durch ein 360-Grad-
Feedback verringert werden.
Aufgrund der zunehmenden Bedeu-
tung des „Lernens durch selber tun“
ist auch eine stärkere Delegation von
Entscheidungen an die Mitarbeiter not-
wendig. Diese können oft selbst flexibel
Führung ergreifen und an andere wieder
abgeben. Dazu müssen sie die notwen-
digen sozialen und fachlichen Kompe-
tenzen erwerben und die funktionale
Kompetenz zu selbstständigen Entschei-
dungen übertragen bekommen. Das ist
der Grundgedanke von Empowerment,
lateraler und verteilter Führung.
Hinzu kommt noch eine dritte Form:
Wenn Mitarbeiter bei gemeinsam bear-
beiteten Problemen mehr wissen als der
Vorgesetze, sollte dieser sich von ihnen
führen lassen. Hilfreich wäre es, wenn
Vorgesetzte sich die Begrenztheit des ei-
genen Wissens und Könnens klar machen
und die hierarchisch Unterstellten als mit-
arbeitende Kollegen sehen.
Einige Testfragen kann sich jeder Vor-
gesetzte im Alltag immer wieder stellen,
um zu überprüfen, ob er oder sie Einfluss
nimmt oder doch Macht ausübt:
• Wie ist die Stimmung in Team, Abtei-
lung oder Organisation? Sind die Mit-
arbeiter locker oder ist die Atmosphäre
angespannt, wenn ich hereinkomme?
• Herrscht ein offener Umgangston?
Gibt es kontroverse Meinungen? Wird
auch mir widersprochen, ohne dass je-
mand ängstlich schaut? Wird konstruk-
tives Feedback gesucht und gegeben?
• Werden Menschen aktiv, wenn sie
neue Probleme entdecken, die eigent-
lich auf höherer Ebene geregelt werden?
• Hat die Organisation ein Leitbild
durchgängiger Kooperation? Wird es
von den Obersten vorgelebt?
Diese Liste ließe sich noch erheblich
verlängern, aber das Kennen guter An-
sätze reicht nicht aus – erst wenn das
Können dazu kommt, können Sie ihre
positive Wirkung entfalten.
Prof. i . R. Dr. phil.
Wolfgang Scholl
lehrte
Sozial- und Organisationspsy-
chologie an der Humboldt-
Universität zu Berlin.
Wie die Forschung
zeigt, bilden sich in
weniger strukturierten
sozialen Situationen
meist spontan Führen-
de heraus.