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RECHT
06 / 12 personalmagazin
PRAKTIKA
unter bestimmten Voraussetzungen aus
Gründen der Vertragsfreiheit durch-
aus wirksam begründet werden kann.
Entscheidend sei dabei, so erläutert
Tillmanns, dass keine zwingenden Vor-
schriften des Arbeitsrechts umgangen
werden. So dürfe beispielsweise gegen-
über dem potenziellen Arbeitnehmer
kein arbeitsrechtliches Direktionsrecht
ausgeübt werden.
Das heißt allerdings nicht, dass dem
„Einfühler“ seitens des Unternehmens
keinerlei Verhaltensanweisungen ge-
geben werden dürfen. „Die juristische
Grundlage hierfür ergibt sich dann aber
nicht aus dem Arbeitsrecht, sondern aus
dem allgemeinen Hausrecht des Arbeit-
gebers“, erläutert Tillmanns, der es au-
ßerdem auch für unschädlich hält, wenn
der Bewerber bis zu einem bestimmten
Maße die Tätigkeiten, für die er einge-
stellt werden soll, ausprobiert.
Die Abgrenzung zur echten Arbeits-
leistung bringt er mit folgender Formel
auf den Punkt: „Mal anpacken und aus-
probieren ist okay, aber nicht vollwertige
Mitarbeit.“ Da der Arbeitgeber aber im
Streitfall die Beweislast dafür trägt, dass
kein Arbeitsverhältnis gewollt war, rät
Tillmanns zu einer schriftlichen Verein-
barung, in der klargestellt ist, dass dem
Bewerber nur die Möglichkeit gegeben
werden soll, sich einen Überblick zu ver-
schaffen. Sein Resümee: „Einfühlungs-
verhältnisse ohne Entgelt sind möglich,
für den Arbeitgeber aber risikoreich.“
Abgabenrechtlich, also unter dem
Aspekt der Sozialversicherung und
Lohnsteuer, hängt beim Einfühlungs-
verhältnis alles von der arbeitsrecht-
lichen Grundbewertung ab. Mit anderen
Worten: „Hält“ das unentgeltliche Ein-
fühlungsverhältnis auf der arbeitsrecht-
lichen Seite, so sind diese Personen bei
Lohnsteuer und Sozialversicherung zu
ignorieren.
Der Pflichtpraktikant
„Ich brauche ein Praktikum als Vorbe-
reitung für meinen Beruf.“ Wenn diese
Aussage Ausgangspunkt für eine Prakti-
kantenbeschäftigung ist, kann nicht oh-
ne Weiteres daraus geschlossen werden,
dass es sich dann um ein sogenanntes
Pflichtpraktikum handelt. Darin waren
sich die Experten einig: Sobald es um die
rechtliche Bewertung von Praktikanten
geht, ist zunächst stets festzustellen,
ob es sich um ein Praktikum handelt,
das in einer schulischen oder universi-
tären Ausbildungsordnung zwingend
als Voraussetzung für einen bestimmten
Abschluss vorgeschrieben ist. Welche
Bedeutung diese erste Weichenstellung
im Arbeitsrecht hat, erläutert Tillmanns
wie folgt: „Im Fall eines vorgeschrie-
benen Praktikums handelt es sich weder
um ein Arbeits- noch um ein Berufsaus-
bildungsverhältnis und auch nicht um
ein sonstiges Berufsbildungsverhältnis
im Sinne von § 26 BBIG. Die Folge: Das
Arbeitsrecht findet dann keine Anwen-
dung. Es handelt sich damit um einen
Dienstvertrag eigener Art, dessen Inhalt
sich allein nach dem Praktikumsvertrag
richtet.“ Dadurch, so Tillmanns, sei auch
für diese Praktikantenverträge ein Ent-
gelt nicht zwingend vorgeschrieben.
Tief durchatmen muss man allerdings,
wenn man sich der Kategorie der ech-
ten Pflichtpraktikanten von der Seite
der Sozialversicherung nähert. Wie hier
Praktika, die aufgrund einer vorgeschrie-
benen Ausbildungs- oder Prüfungsord-
nung abgeleistet werden, zu beurteilen
sind, wird von Beitragsspezialist Stefan
Sieben erläutert. Er stellt zunächst klar,
dass hier die arbeitsrechtliche Begriffs-
welt nicht immer deckungsgleich mit
dem sozialversicherungsrechtlichen
Beschäftigungsbegriff ist, sondern ei-
genständig zu beurteilen ist. Werden
berufliche Kenntnisse, Fertigkeiten oder
Erfahrungen im Rahmen betrieblicher
Berufsbildung erworben, erläutert Sie-
ben, liegt stets eine Beschäftigung im
Sinne der Sozialversicherung vor. Für die
Entgeltabrechnung heißt dies zunächst,
dass bei einem Pflichtpraktikanten die
Versicherungsfreiheit als geringfügig
Beschäftigter ausgeschlossen ist, insbe-
sondere keine Einstufung als kurzfristig
Beschäftigter erfolgen kann und somit
eine Verbeitragung erfolgen muss, selbst
wenn ein Praktikum weniger als zwei
Monate läuft.
Hat aber nicht die arbeitsrechtliche
Betrachtung bei den Pflichtpraktikanten
ergeben, dass diese auch ohne Entgelt-
anspruch beschäftigt werden können?
Anlass für Sieben, auf eine weitere Spe-
zialität des Sozialversicherungsrechts
aufmerksam zu machen. Fällt nämlich
eine Beschäftigung unter den speziellen
sozialversicherungsrechtlichen Begriff
der „betrieblichen Berufsbildung“, so
sind vom Arbeitgeber hier nicht nur die
vollen Sozialversicherungsbeiträge zu
zahlen, wenn das monatliche Entgelt
nicht mehr als 325 Euro pro Monat be-
trägt. Vielmehr müssen auch bei einer
unentgeltlichen Beschäftigung, Beiträge
auf der Grundlage eines fiktivenMindest-
entgelts (ein Prozent der Bezugsgröße)
abgeführt werden. Schließlich zaubert
„Einfühlungsverhältnisse ohne Entgelt
sind rechtlich möglich, aber risikoreich.“
Christoph Tillmanns, Vorsitzender Richter am LAG Baden-Württemberg
„Der beitragsrechtliche Beschäftigungs-
begriff ist eigenständig zu prüfen.“
Stefan Sieben, Beitragsspezialist, Verband der Angestelltenkrankenkassen