Seite 38 - personalmagazin_2012_09

Basic HTML-Version

personalmagazin 09 / 12
38
Management
_Personalauswahl
Bei Fragen wenden Sie sich bit te an
ben Personalern und externen Beratern
nehmen an den Übungen vor allem Füh-
rungskräfte als Beobachter teil, die zu-
vor auf ihre Rolle vorbereitet wurden.
„Wer kein Training durchlaufen hat, wird
nicht als Beobachter eingesetzt“, stellt
der Personalchef klar. Führungskräfte-
trainer Stams begrüßt solche Ansätze.
In seinen Seminaren bringt er Teilneh-
mer aus Fachabteilungen dazu, dass sie
den Dreischritt aus Beobachten, Beurtei-
len und Bewerten beherrschen. Nur so
könnten sie einordnen, wie sich Kandi-
daten im Assessment-Center schlagen.
„Ziel sollte sein, ein valides Urteil zu
fällen statt persönliche Sichtweisen ein-
zubringen, die von unkontrollierbaren
Variablen geprägt sind.“ Dabei sei Di-
agnostik wichtiger als die Erfahrung
der Beteiligten, so Kanning. „Nur weil
jemand seit zehn Jahren Führungskraft
ist, kann er das Verhalten von Kandi-
daten nicht zutreffender bewerten.“
Auch für strukturierte Einstellungsin-
terviews lohnt sich die Mühe, zunächst zu
klären, wie ein Kandidat bewertet werden
kann. Bei Gerresheimer werden Bewer-
ber durch geschickt gestellte Fragen dazu
motiviert, aus dem Nähkästchen zu plau-
dern. Laut Perlitz sei so zu be­obachten,
mit welcher Energie sich jemand ein-
bringt und ob er seine Aufgaben mit Lei-
denschaft anpackt. „So etwas kann man
gut vorbereiten.“ Stams bringt Führungs-
kräften bei, in multimodalen Interviews,
die biografische und situative Fragen ent-
halten, so lange zu bohren, bis sie auf Öl
oder heiße Luft stoßen: „Verliert sich der
Kandidat in plakativen Aussagen oder hat
er tatsächlich Ergebnisse geliefert in sei-
nen bisherigen Stationen?“
Aufgabe ist nur gemeinsam lösbar
Eine große Teilaufgabe von HR in der
Personalauswahl ist also die richtige
Vorbereitung und Schulung der Füh-
rungskräfte aus den Fachabteilungen.
Gleichzeitig sind sie meist im Prozess
selbst vertreten, um den Führungskräf-
ten später Feedback geben zu können.
So werden bei Gerresheimer Interviews
nie ohne einen Personaler geführt. Lie-
ßen sich Führungskräfte im Gespräch
zu Ungereimtheiten verleiten, erläutert
Perlitz, stellten sie etwa ungeeignete
Fragen, vertrödelten Zeit für Unwich-
tiges oder versprächen Bewerbern das
Blaue vom Himmel, was sie tatsächlich
niemals einlösen könnten, würde dies
nachher gezielt angesprochen.
Experten zufolge müssen Personaler
nicht unbedingt bei jedem Auswahlge-
spräch dabei sein. Vor allem in mittel-
ständischen Unternehmen wäre dies
auch kaum zu realisieren. Freilich hängt
die Frage davon ab, in welchem Maße
Führungskräfte der Fachabteilungen
sich in Auswahlgesprächen an objek-
tiven Kriterienkatalogen orientieren
können und entsprechend vorbereitet
wurden.
Winfried Gertz
ist freier Journalist in
München.
Ein Instrument, um Fachabteilungen strukturiert in den Prozess der Personalauswahl einzubinden, ist eine Software für zeitversetzte
Videointerviews. Erste Forschungsergebnisse belegen, dass sich Beobachterfehler dabei minimieren.
Ein Beispiel für eine HR-Software, die hier zum Einsatz kommen
kann, ist die Viasto Interview Suite. In der Software werden kurze
Interviewleitfäden hinterlegt. Dies geschieht durch die Personalab-
teilung, wobei die Fachabteilung Fragen zur fachlichen Eignungs-
beurteilung beisteuert. Ergänzend zu den typischerweise vier bis
fünf Interviewfragen werden relevante Bewertungskriterien durch
Personal- und Fachabteilung festgelegt, anhand derer später die
Bewerberantworten evaluiert werden. Fragen und Bewertungskri-
terien bilden zusammen strukturierte, beobachtungsbasierte Video-
Assessments. Die Bewerber führen diese am eigenen Computer
durch. Die aufgezeichneten Interviews werden zeitlich unabhängig
von Fach- und Personalabteilung anhand der vordefinierten Bewer-
tungskriterien in der HR-Software evaluiert. Alle Einzel-Evaluationen
werden in der Software zu einem Gesamtergebnis integriert, der
die Entscheidungsgrundlage für den nächsten Auswahlschritt bildet.
Die strukturierte Einbindung mehrerer Evaluatoren sichert dabei die
Einhaltung klarer Prozessstandards. Zusätzlich zu den Interviews
können kurze Sequenzen eingeblendet werden, in denen die Fach-
abteilungen das Stellenangebot noch einmal umreißen können.
Mit den aufgezeichneten Videosequenzen lassen sich nachweislich
Beobachterfehler minimieren, wie erste Forschungsergebnisse
in einer Diplomarbeit an der Westfälischen Wilhelms-Universität
Münster belegen. Ein Resultat war, dass die Einschätzung der
Bewerbereignung mit einer sehr hohen Übereinstimmung erfolgte.
Der Grund: Die meisten Beobachterfehler haben ihre Ursache in
Aufmerksamkeits- und Gedächtniseffekten. Kurze Videosequenzen
haben einen positiven Effekt auf die Informationsverarbeitung, da
sie eine maximale Konzentration auf die Bewerberaussagen ermög-
lichen. Die erforderliche Gedächtnisleistung ist minimal, da jede
Antwortsequenz sofort bewertet wird. Die direkte Evaluation jeder
Bewerberantwort anhand von klar definierten Kriterien wird auch
in einer Metaanalyse zur Qualität von Einstellungsinterviews von
Professoren aus den USA als qualitätssichernd herausgestellt.
Vorauswahl mit Videointerviews
Praxisbeispiel
hinweis
Von
Sara Lindemann
, Leiterin HR-Consulting bei Viasto