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TARIFRECHT
EDITORIAL
08 / 10 personalmagazin
„Ein Eingriff ins Grundgesetz
sollte sich nicht von tages-
politischen Vorstellungen
leiten lassen.“
Keine Gefahr in Verzug
D
ie Aufregung über das Bundesarbeitsgericht (BAG), das
mit seinem jüngsten Urteil den Traum einer staatlich
verordneten Tarifeinheit befeuert hat, ist groß. Innerhalb
von wenigen Tagen formierte sich eine große Koalition
von CDU, FDP, SPD, BDA und DGB, die allesamt eine gesetzliche
„Klarstellung“ zur Sicherung des Prinzips „ein Betrieb – ein Tarifver-
trag“ verlangen. Ein tarifpolitisches Chaos und eine Streikwelle in
den Betrieben werden als Schreckgespenster an die Wand gemalt.
Notfalls müsse deshalb sogar das Grundgesetz geändert werden.
So viel Einigkeit macht stutzig. Sind die BAG-Richter „Amok-
läufer“, die die Grundfesten der Republik infrage stellen? Im
Hintergrund der heftigen Reaktionen stehen die jüngsten Streiks
der Lokführer, Piloten oder Krankenhausärzte, wo kleine Ge-
werkschaften wirkungsvoll ihre Interessen durchgesetzt haben.
Mit der Gesetzesinitiative wollen die einen die Macht der großen
Gewerkschaften stärken, die anderen die Macht der Arbeitgeber-
verbände. Dabei wird übersehen, dass die Macht der großen Tarif-
vertragsparteien schon seit Jahren schwindet, weil beiden Seiten
die Mitglieder davonlaufen. Durch Fusionen sind Mega-Gewerk-
schaften wie Ver.di entstanden, die die einzelnen Berufsgruppen
offenbar nicht mehr einbinden können. Auch die Vorstellung von
einheitlichen Tarifverträgen wurde durch betriebliche Bündnisse
und Öffnungsklauseln längst aufgeweicht.
Eine Gesetzesänderung wäre ein Eingriff in die Koalitionsfreiheit
„für alle Berufe“, wie es im Grundgesetz formuliert ist. Ein Eingriff
in das Grundgesetz sollte sich aber nicht von tagespolitischen
Vorstellungen, sondern von einer Langzeitperspektive leiten lassen.
Die Bundesarbeitsministerin ist gut beraten, wenn sie Ruhe be-
wahrt und die Sache gründlich diskutieren lässt.
Reiner Straub, Herausgeber