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ZEUGNISRECHT
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personalmagazin 09 / 09
RECHT
geworden seien, die die ursprüngliche
Beurteilung nicht mehr rechtfertigen
würden. In diesem Sinne entschied
kürzlich auch das Arbeitsgericht Köln:
Obwohl sich der Arbeitgeber in einem
früheren Kündigungsschutzverfahren
verpflichtet hatte, das Arbeitszeugnis
des Arbeitnehmers in „Anlehnung an
das bereits erteilte Zwischenzeugnis“
zu erstellen, wich das Endzeugnis von
dem Zwischenzeugnis erheblich ab. Der
Arbeitnehmer klagte gegen seinen ehe-
maligen Arbeitgeber und bekam recht.
Zwar sei dem Arbeitgeber nachträglich
ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers be-
kannt geworden, da der Arbeitgeber aber
die Verpflichtung nicht davon abhängig
gemacht habe, dass ihm keine neuen Tat-
sachen über den Arbeitnehmer bekannt
würden, sei er an die Vereinbarung ge-
bunden (ArbG Köln, Urteil vom 29. Juni
2009, 6 Ca 9134/08).
Haftungsrisiko bei
„wahrheitswidrigen“ Zeugnissen
Die Rechtsprechung zur Bindung an ein
Zwischenzeugnis ist aus haftungsrecht-
licher Sicht nicht ganz unproblematisch.
Auch das Landesarbeitsgericht Nürnberg
bestätigte im Juni dieses Jahres, dass der
Arbeitgeber an eine zuvor zwischen ihm
und dem Arbeitnehmer ausdrücklich
vereinbarte Formulierung gebunden
ist. Sofern sich der Arbeitgeber zur Ab-
gabe einer bestimmten Bewertung im
Endzeugnis verpflichtet habe, könne er
nicht nachträglich wegen der Kenntnis
neuer Tatsachen vortragen, er würde bei
Verwendung der vereinbarten Formu-
lierung eine nach außen wirkende vor-
sätzlich unrichtige Erklärung abgeben,
die ihn dem Risiko aussetzen würde,
wegen der Unrichtigkeit des Zeugnisses
in Haftung genommen zu werden (LAG
Nürnberg, Urteil vom 16. Juni 2009, 7
Sa 641/08).
Ein Arbeitszeugnis kann sittenwidrig
sein, wenn es grobe Unrichtigkeiten ent-
hält, die dazu führen können, dass bei
dem neuen potenziellen Arbeitgeber ein
völlig falscher Eindruck bezüglich der
Redlichkeit und Zuverlässigkeit des Be-
werbers entsteht. Dies kann zur Haftung
des zeugniserteilenden Arbeitgebers
führen (siehe Kasten). Einen entspre-
chenden Grundsatz hatte der Bundesge-
richtshof bereits im Jahr 1963 aufgestellt
(BGH, Urteil vom 26. November 1963, VI
ZR 221/62). Die Gefahr der Sittenwidrig-
keit besteht jedoch nicht bereits dann,
wenn ausschließlich die Leistung – an-
statt einer bestimmten Eigenschaft – des
Arbeitnehmers objektiv falsch bewertet
wird, da im Leistungsbereich der neue
Arbeitgeber innerhalb der „Probezeit“
selbst beurteilen kann, ob der Arbeit-
nehmer seinen Anforderungen genügt.
Zudem stellen die Leistungsfähigkeit
und die Leistungsbereitschaft eines
Arbeitnehmers keine festen Größen
dar. Hierauf weist auch das Landesar-
beitsgericht Nürnberg in seiner bereits
vorstehend zitierten Entscheidung aus-
drücklich hin.
INFO
Wunschzeugnis und Haftungsrisiko
Erleidet ein Dritter einen Schaden, weil er sich auf falsche Angaben verlassen
hat, so kommt die sogenannte „deliktische Haftung“ in Betracht. Dazu müssen
folgende Voraussetzungen vorliegen:
Das Zeugnis muss wissentlich und objektiv unwahre Angaben enthalten.
Dies ist grundsätzlich in Bezug auf
Eigenschaften (insbesondere in Bezug auf die Zuverlässigkeit) und
Verhaltensweisen möglich
in der Regel jedoch nicht in Bezug auf
Leistungsfähigkeit und
Leistungsbereitschaft
Zudem muss der Arbeitgeber die Schädigung des neuen Arbeitgebers zumindest billigend
in Kauf genommen haben.
Der Arbeitgeber kann sich entlasten, wenn nicht er, sondern ein ordnungsgemäß ausge-
wählter Mitarbeiter das Zeugnis erstellt hat.
Diese Entlastungsmöglichkeit hat er dann nicht, wenn sich der Geschädigte auf die
sogenannte „schuldrechtliche Haftung“ berufen kann. Diese Haftung setzt neben der
Fahrlässigkeit voraus, dass
1.
das ausgestellte Zeugnis grob unrichtig ist, und zwar
2.
in Bezug auf Punkte, die die Verlässlichkeit des Zeugnisses in ihrem Kern berühren, und
3.
der Arbeitgeber die Unrichtigkeit des Zeugnisses klar erkennt.
Das Oberlandesgericht München hat einen Schadensersatzanspruch zum Beispiel in dem
Fall bejaht, in dem dem Arbeitnehmer „äußerste Zuverlässigkeit in einer treu erfüllten
Vertrauensstellung“ attestiert wurde, obgleich er 70.000,00 DM entwendet hatte (OLG
München, Urteil vom 30. März 2000, 1 U 6245/99).
ist Fachanwalt für
Arbeitsrecht bei Beiten
Burkhardt, Berlin.
Dr. Veit Voßberg