personalquarterly 04 / 12
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State of the art
_Fluktuation und Retention
D
ie Mitarbeiterbindung nimmt derzeit einen Spitzen-
platz auf der Prioritätenliste des betrieblichen Per-
sonalmanagements ein. Nicht wenige Unternehmen
sehen der zukünftigen Arbeitsmarktentwicklung mit
Sorge entgegen und befürchten zunehmende Schwierigkeiten
bei der Besetzung offener Stellen. Zudem steht es den arbeits-
vertraglich bereits gebundenen Mitarbeitern stets frei, nach Al-
ternativen Ausschau zu halten. Retention-Management verfolgt
daher das Ziel, unerwünschte Fluktuation zu senken. Dies setzt
die Kenntnis über maßgebliche Fluktuationsursachen voraus.
Der Beitrag bilanziert daher den diesbezüglichen Stand der
Forschung hinsichtlich der Theorieentwicklung und der em-
pirischen Untersuchungsergebnisse und bietet eine Synthese
aus prozesstheoretischer Perspektive an.
Ursachen der Mitarbeiterfluktuation
Fluktuation resultiert aus der freiwilligen Entscheidung von
Mitarbeitern zur Aufgabe ihrer organisationalen Mitglied-
schaft. Fluktuationstheorien versuchen diesen vom Mitarbei-
ter initiierten Ablösungsprozess ursächlich zu erklären. Im
Laufe der zwischenzeitlich über 50-jährigen Fluktuationsfor-
schung ist es hierbei zu einer bemerkenswerten Perspektive-
nerweiterung gekommen: Wurden anfänglich lediglich zwei
Faktoren, nämlich Arbeitsunzufriedenheit und die Attraktivi-
tät von Beschäftigungsalternativen, als ursächlich angesehen,
sind zwischenzeitlich in empirischen Einzelstudien und Meta-
Analysen über 70 mitarbeiter-, arbeitsplatz-, unternehmens-
und arbeitsmarktbezogene Variablen hinsichtlich ihres Ein-
flusses auf die Fluktuationsentscheidung untersucht worden
(Steel/Lounsbury, 2009, S. 271-276) – mit keineswegs eindeu-
tigen Ergebnissen.
Daher soll zunächst dieUrsachenanalyse auf der Theorieebene
nachvollzogen werden, da sich aus der jeweiligen Theorieper-
spektive ableitet, welche Faktoren einer empirischen Überprü-
fung unterzogen werden und welche Kausalität vermutet wird.
Die Theorieentwicklung kann in drei Phasen unterteilt werden:
Fluktuation und Retention – Mitarbeiter im
Unternehmen halten
Bindung von Mitarbeitern ist eine zentrale Aufgabe des betrieblichen Personalman-
agements. Dies setzt die Kenntnis über maßgebliche Fluktuationsursachen voraus.
Von
Prof. Dr. Stefan Huf
(Duale Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart)
Gemäß der
Anreiz-Beitrags-Theorie
(March/Simon 1958) und
dem
Verkettungsmodell
(Mobley, 1977) folgt die Fluktuations-
entscheidung dem ökonomischen Kalkül des Kosten-Nutzen-
Vergleichs auf Basis einer Alternativenabwägung (Phase 1).
Das Pfadmodell
(Lee/Mitchell/Holtom/McDaniel/Hill, 1999)
ist hingegen stärker psychologisch fundiert und verweist auf
unterschiedliche Fluktuationspfade, die individuell beschrit-
ten werden (Phase 2).
Einbettungstheroie:
Die soziologisch argumentierende
Einbettungstheorie(Lee/Mitchell/Sablynski/Burton/Holtom
2004) rückt den umfassenden sozialen Kontext, in dem die
Mitarbeiter verankert sind, in den Mittelpunkt (Phase 3).
Fluktuation als Ergebnis einer Alternativenabwägung
Die Anreiz-Beitrags-Theorie
stellt heraus, dass sich die Fluk-
tuationsentscheidung zum einen aus dem Wunsch des Mitar-
beiters nach einem Verlassen der Organisation ergibt und zum
anderen davon abhängt, wie leicht sich dieser Wunsch reali-
sieren lässt. Der Veränderungswunsch ergibt sich demnach
aus einer wahrgenommenen Arbeitsunzufriedenheit und der
Realisierbarkeit des Wunsches aus den sich bietenden Jobal-
ternativen (March/Simon 1958, S. 112-125). Die Kernaussage
lautet: Wenn Mitarbeiter unzufrieden mit ihrer Arbeit sind und
zudem über attraktivere Jobalternativen verfügen, kündigen
sie ihr aktuelles Arbeitsverhältnis.
Das Verkettungsmodell
(Mobley, 1977; Hom/Kinicki, 2001)
modelliert dieses Kalkül als rationalen Entscheidungsprozess.
In beiden Modellen, die die Fachdiskussion über Jahrzehnte
prägten, ist Arbeitsunzufriedenheit als „Push-Faktor“ die
notwendige, den Ablösungsprozess anstoßende Bedingung
und Jobalternativen sind als „Pull-Faktor“ die hinreichende
Bedingung für die Kündigung. Allerdings: Es kündigen auch
Mitarbeiter, die mit ihrer aktuellen Arbeitsstelle nicht unzu-
frieden sind. Und zudem kündigen auch Mitarbeiter, ohne eine
Jobalternative zu haben (Holtom/Mitchell/Lee/Eberly, 2008,
S.256).