Seite 21 - Immobilienwirtschaft_2013_06

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06 | 2013
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Für viele Leute aus der Immobilienbranche steht das nächste
Unwort des Jahres schon fest: Gentrifizierung. Dazu schreibt
das Internet-Nachschlagewerk Wikipedia: „Gentrifizierung ist
ein aus der Stadtsoziologie kommender Begriff und beschreibt
spezifische sozioökonomische Umstrukturierungsprozesse in
städtischen Wohngebieten als ein Phänomen der sozialen Un-
gleichheit.“ Oder im Klartext: Reich verdrängt Arm.
Das G-Wort gewinnt rasend schnell an praktischer Bedeu-
tung. Dann wird es vielfachmit anderen Begriffen umschrieben.
Von denen ist „Urbanisierung“ noch am harmlosesten. „Spe-
kulation“ und „Mietwucher“ klingen schon deftiger. Die SPD
bedauert in ihrem Aktionsprogramm „die soziale Spaltung der
Städte“ und erhebt bezahlbare Mieten zum Wahlkampfschla-
ger. Die Grünen erwähnen in ihremWahlprogramm „Spielwie-
sen für SpekulantInnen“, die Linkspartei spricht von „Verdrän-
gung einkommensschwacher Anwohnerinnen und Anwohner“.
Auf diesem Feld ist der Wahlkampf also schon voll entbrannt.
CDU/CSU und FDP lassen sich mit ihrer G-Interpretation al-
lerdings noch etwas Zeit.
Verdichtung stößt an Grenzen
Wie weit die Wahlkampfparolen von der Wirklichkeit entfernt
sind, zeigt sich an den Versuchen zur Problembewältigung vor
Ort. Frankfurt amMain gilt da als klassischer Fall. Die Stadt hat
neulich in einer Studie des Hamburgischen Weltwirtschafts-
instituts und der Berenberg Bank zum dritten Mal seit 2008
bescheinigt bekommen, von allen deutschen Metropolen die
besten Wachstumschancen zu besitzen – zum Leidwesen von
München mit den zweitbesten. Das heißt, die ohnehin schon
überdurchschnittlich steigende Einwohnerzahl wird weiter zu-
nehmen. Frankfurt ist mit 248 Quadratkilometern im Vergleich
zu den anderen Metropolen flächenmäßig allerdings ziemlich
klein. Erschwerend kommt hinzu, dass die Verdichtung von in-
nerstädtischem Wohnraum mittlerweile an Grenzen stößt.
Eine Aufgabe für Jahrzehnte
Wege aus Wohnungsnot.
Viele Politiker versuchen vergeblich, fehlende
Wohnungen mit Vermieterschelte herbei zu reden. Auch ihre Vorschläge zur
Mietendeckelung sind untauglich. Allein ein ganzheitlicher Ansatz hilft, das
Wohnungsproblem nachhaltig zu lösen.
Auf einen Blick
›› Wohnungsnot gibt es nicht von heute auf morgen, sondern sie
entwickelt sich über Jahre und Jahrzehnte. Dementsprechend
muss sie langfristig-nachhaltig behoben werden.
›› Es gibt noch keine allgemeine Wohnungsnot, vielmehr taucht sie
konzentriert in den deutschen Metropolen, in Universitäts- und
sonstigen bevorzugten Städten auf.
›› Das nach fast zwei Jahren erbitterter Diskussion zustande gekom-
mene Mietrechtsänderungsgesetz ist in Ansätzen steckengeblie-
ben.
›› Die im Zuge des eskalierenden Wahlkampfs immer lauter wer-
dende Diskussion über nicht mehr bezahlbare Mieten und Mieten-
deckelung führt am eigentlichen Problem vorbei.
›› Es geht darum, in den wachsenden Problemquartieren einen
gemeinsamen Ansatz unter Einbeziehung investiver und nichtin-
vestiver Maßnahmen zu finden.
Folglich kam Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann
(SPD), der sein Amt vor allem mit dem Versprechen von mehr
bezahlbaren Wohnungen errang, auf die naheliegende Idee, im
Frankfurter Norden zwischen Nieder-Erlenbach und Nieder-
Eschbach einen neuen Stadtteil für 12.000 bis 16.000 Einwoh-
ner errichten zu lassen. Doch kaum war diese Idee geboren,
regte sich Widerstand, und zwar in erster Linie dort, wo gebaut
werden soll – ein Phänomen, das derzeit überall auftaucht, sei
es im Norden von München rund um die ehemalige Prinz-Eu-
gen-Kaserne, sei es in vielen Stadtteilen von Berlin, wo die Ein-
wohner lieber auf eine stille Brache blicken, als jahrelang eine
laute Baustelle ertragen zu müssen.
In Frankfurt endete die Debatte um den neuen Stadtteil
derart emotional, dass sogar der sonst so ruhige OB Feldmann
in Rage geriet und der CDU wie auch den Grünen entgegen-
schleuderte: „Ich erwarte verdammt noch mal eine gewisse
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Titelthema
Manfred Gburek, Frankfurt am Main
Foto: Jörg Öange/istockphoto