Seite 44 - Immobilienwirtschaft_2012_01

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44 Finanzen, Markt + Management
12-01 | 2012
Die Bewohner des Häuserblocks im
Stockholmer Süden staunten nicht
schlecht über das Spektakel, das sich
ihnen an einem sommerlichen Samstag-
nachmittag bot: Nach und nach fuhren
Autos vor, Menschen mit vollgepackten
Taschen und Kartons stiegen aus – und
sammelten sich allesamt vor einer Haus-
tür. Mehr als zwei Dutzend Paare wollten
in ein und dieselbe Wohnung einziehen.
Sie waren einem Betrüger auf den Leim
gegangen, der zuvor von jedem Interes-
senten saftige Vorabzahlungen kassiert
hatte. Ein Einzelfall? Womöglich. Auf je-
den Fall ist es ein Musterbeispiel für die
Auswüchse am Stockholmer Wohnungs-
markt. Die schwedische Hauptstadt gilt
als die am schnellsten wachsende Me-
tropole Europas, doch für die einströ-
menden Menschen gibt es viel zu wenig
Wohnraum in der Stadt. Die Kommune
hat in der Wohnungspolitik versagt.
Stockholm platzt
„ImGroßraumStockholm ist der Neubau
unzureichend im Verhältnis zum Bevöl-
kerungsanstieg“, stellt das staatliche Amt
für Wohnungswesen fest. Radio Schwe-
den warnt vor einer „Eskalation“ des
Wohnungsmangels – eine Einschätzung,
die die Analystin Claudia Wörmann vom
schwedischen Maklerverband bestätigt:
„Wir haben ein deutliches Ungleich-
gewicht – es wird zu wenig gebaut und
es gibt zu wenig Mietwohnungen.“ Die
OECD sieht in der Misere gar eine Ge-
Das schwedische „Volksheim“
ist zu klein geworden
Skandinavien.
Die Wohnungsnot in Stockholm setzt der sozialdemokratischen
Idee eines Wohlfahrtsstaats ein Ende. Die am schnellsten wachsende
Metropole Europas büßt für Versäumnisse der vergangenen Jahre.
terher, es sollen immer noch mehr Men-
schen werden“, sagt Niklas Svensson vom
Stadtplanungsamt seufzend.
Zugleich sind in den vergangenen
Jahren nur ein Drittel der Wohnungen
gebaut worden, die zur Aufnahme al-
ler Zuzügler notwendig gewesen wären.
„Der Takt Anfang des Jahrtausends war
zu niedrig“, bekennt Svensson rückbli-
ckend. Nach der Konjunkturflaute in
den 1990er-Jahren kam nur langsam
wieder Schwung in die Baubranche.
Die Kommune, die den Markt traditio-
nell beherrscht, hat den Zustrom nach
Stockholm unterschätzt und den Neubau
zu wenig gefördert. „Die Verwaltung ist
immer noch viel zu passiv, anstatt aktiv
Planung und Bau voranzutreiben“, bilan-
ziert Stellan Fryxell, Architekt und Pla-
ner von Hammarby Sjöstad, dem größ-
ten Ökoviertel der Stadt. Er kritisiert,
dass Investoren zu wenig Anreize er-
hielten – finanzieller und politischer Art.
Die basisdemokratische Ausrichtung bei
Bauvorhaben ziehe Projekte außerdem
in die Länge. Praktisch habe jeder das
Recht gegen alles Einspruch zu erheben;
so verhinderten partielle Interessen Ge-
meinwohl, kritisiert der Architekt. Eine
Sprecherin des Immobilienkonzerns
Wallenstam pflichtet dem bei und stöhnt:
„Von der Idee bis zum ersten Setzen des
Spatens können Jahre vergehen!“
Fryxell sieht zudem in der Wirt-
schaftsstruktur des Landes ein großes
Problem: „Der Markt wird von wenigen
großen Playern dominiert, das treibt
fahr für die wirtschaftliche Entwicklung
der Region.
Stockholm zählt 850.000 Menschen,
im Großraum wohnen zwei Millionen.
Die Stadt ist auf Inseln gebaut. Das
macht Stockholm zum einen attraktiv
– fast jedes Wohnhaus hat einen Strand
in Reichweite, Loipen können per U-
Bahn erreicht werden. Zum anderen
macht es den Bau von Häusern, Straßen
und Schienenverbindungen teurer als
anderswo und kompliziert. Der wirt-
schaftliche Aufschwung der letzten Jah-
Auf einen Blick
Stockholm wächst rasant, aber in den
vergangenen Jahren sind nur ein Drittel
der Wohnungen gebaut worden, die zur
Aufnahme aller Zuzügler notwendig ge-
wesen wären.
Dadurch verschärft sich die Wohnungsnot
immer mehr, die Preise steigen exorbi-
tant an, Studierende campieren in Zelten,
Familien nehmen lange Pendlerzeiten auf
sich.
Inzwischen haben auch deutsche Inves-
toren das Potenzial des Markts erkannt.
Kristina Pezzei, Berlin
Foto: Kalin Eftimov/shutterstock.com
re hat den Zuzug enorm verstärkt. Dazu
kommt eine Geburtenrate von fast zwei
Kindern pro Frau: Bis 2030 sollen mehr
als eine Million Menschen in Stockholm
wohnen. „Wir kommen mit dem Über-
arbeiten der Prognosen nicht mehr hin-