DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 4/2015 - page 60

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4|2015
MARKT UND MANAGEMENT
könnenwir uns nicht leisten“, warnte er. Deutsch-
land verhalte sich bis heute nicht wie ein Einwan-
derungsland, obgleich es ein solches sei. „Die po-
litische und verwaltungsrechtliche Debatte folgt
nur zögerlich der Realität.“
Spezifische Betreuungsangebote
Auf der Hamburger Tagung wurde das Thema
aus verschiedenen Blickwinkeln behandelt. Das
Motto der Tagung „Zuwanderung hat viele Ge-
sichter“ verwies auf die Chancen, aber auch auf
die Probleme, denn jeder Zuwanderer hat seine
eigene Geschichte, bedarf ganz unterschiedlicher
Ansprache und Unterstützung.
Diese Aufgaben kann die Wohnungswirtschaft
jedoch nicht allein lösen, hier greifen Kooperati-
onen. In Hamburg initiierte z.B. die Pro Quartier
Gesellschaft für Sozialmanagement und Projekte
mbH, ein Tochterunternehmen der kommunalen
SAGA GWG, u.a. die „Kiezläufer“. Das Projekt -
heute durchgeführt durch den Jugendmigrations-
dienst IN VIAHamburg e. V. - wirkt niedrigschwel-
lig und präventiv: Jungerwachsene sprechen
durch aufsuchende Kontaktarbeit Peergruppen
im Stadtteil an, bieten jungen Migranten ein of-
fenes Ohr, vermitteln bei Streitfällen und zeigen
Perspektiven auf.
In Kiel betreibt die Wohnungsbaugenossenschaft
Kiel-Ost eG in Kooperationmit demDiakonischen
Werk Altholstein ein Quartiersbüro, das sich be-
sonders den Belangen von Migranten und Flücht-
lingen sowie dem Zusammenleben von Alteinge-
sessenen mit ihnen widmet.
Zuwanderungsrate und Wohnungsbauzahl
Aufgabe und durchaus Wunsch vieler Wohnungs-
unternehmen ist es, Zuwanderernmöglichst einen
ständigenWohnsitz zur Verfügung zu stellen. Kei-
ne leichte Aufgabe, wie GdW-Präsident Axel Ge-
daschko feststellt: Die hohen Zuwanderungsraten
bewirkten, dass der Bedarf an neuen Wohnungen
weit höher liege als in den bisherigen Berech-
nungen kalkuliert. Allein 2014 ergebe sich nach
ersten Schätzungen ein Zuwanderungssaldo von
450.000 Personen. „Wir gehen davon aus, dass
in den nächsten Jahren auch angesichts der ho-
hen Zuwanderungsraten 200.000 Wohnungen
pro Jahr allein im Geschosswohnungsbau hinzu-
kommenmüssten“, so der GdW-Präsident im Juni
2014. Hinzu komme, dass es die Zuwanderer in
die Großstädte und Ballungszentren ziehe – also
genau in die Regionen mit ohnehin hohemWohn-
raum- und Neubaubedarf. 42% des gesamten Zu-
wanderungsvolumens entfielen in den vergange-
nen drei Jahren auf die kreisfreien Großstädte.
Viele Städte könnten diesen Prozess nur schwer
steuern, da sie über keine eigenen kommunalen
Wohnungsunternehmen verfügten.
Eine Studie der Organisation Pro Asyl zur Unter-
bringung von Flüchtlingen in Deutschland zeigt,
dass die Bundesländer in sehr unterschiedlicher
Weisemit der Unterbringung umgehen. In Baden-
Württemberg, Brandenburg und Sachsen werde
vorrangig in Flüchtlingslagern untergebracht,
andere Länder setzten stärker auf Wohnungen.
Die Konzepte von Rheinland-Pfalz, Schleswig-
Holstein, Niedersachsen und Bremen mit Woh-
nungsquoten zwischen 85 und 92% (Stand 2012),
so Pro Asyl, könnten als Beispiel dienen.
Ein Trend gibt aber zu denken: Der Anteil der in
Einzelwohnungen untergebrachten Flüchtlinge
ist, gemessen an der Gesamtzahl derer, die nicht
mehr in Erstaufnahmeeinrichtungenwohnen, seit
2008 kontinuierlich gesunken. Entsprechend ist
die Quote der in Gemeinschaftsunterkünften un-
tergebrachten Personen gestiegen, und das nicht
allein wegen der steigenden Flüchtlingszahlen,
sondern weil immer weniger Flüchtlinge in Woh-
nungen untergebracht werden konnten.
Möglichkeiten und Grenzen
der Wohnungswirtschaft
DieWohnungswirtschaft wird ihr Neubauvolumen
deswegen nicht ohne Weiteres steigern können,
auch wenn einzelne Bundesländer das anstreben.
So hat Schleswig-Holstein ein Förderprogramm
„Neues gemeinschaftliches Wohnen für Flüchtlin-
ge“ aufgelegt. Hier ist der Innenminister zugleich
für die Integration von Zuwanderern wie auch für
den Wohnungsbau zuständig.
In dem o. g. Vortrag in Hamburg bezog Helmut
Knüpp auch Position, was das Errichten von Ein-
fachwohnungen angeht. Er wies darauf hin, dass
deutlich reduzierte Standards eine Nachnutzung
der Gebäude erschweren. Vor einigen Jahren habe
man bereits Schlichtwohnungen übernommen und
schlechte Erfahrungen damit gemacht. Auchwenn
es im Moment richtig erscheinen möge, Gemein-
schaftsunterkünfte mit reduzierten Standards zu
- 750
750
- 500
500
- 250
250
- 1.000
1.000
1.250
1.500
in 1.000 Personen
0
WANDERUNGSBEWEGUNGEN NACH DEUTSCHLAND
NETTOZUWANDERUNG VON NICHTDEUTSCHEN 2013
Quelle: Statistisches Bundesamt, Wanderungsstatistik; bis
1990 nur früheres Bundesgebiet; 2014 eigene Schätzung GdW
Schrader, 30.06.2014
Nettozuwanderung
Nichtdeutscher 2013
+ 459.160 Personen
Neubaubedarf:
Trendwende bei Zuwanderungen, Saldo liegt deutlich über den 200.000 Personen,
auf denen bisherige Bedarfsprognosen fußen. Zuwanderung konzentriert sich auf Großstädte und
wirtschaftlich prosperierende Zentren
Polen
Rumänien
Italien
Ungarn
Spanien
Bulgarien
Griechenland
Russische Föderation
Syrien
Kroatien
übrige EU-Länder
übriges Europa
Afrika
Amerika
übriges Asien, darunter
China
und
Afghanistan mit je 1,6%
1950
1982
1966
1998
1958
1990
1974
2006
2014
1954
1986
1970
2002
1962
1994
1978
2010
1952
1984
1968
2000
1960
1992
1976
2008
1956
1988
1972
2004
1964
1996
1980
2012
Trendwende
bei
Zuwanderung ab 2010
2014:
Zuwanderungssaldo
von etwa
450.000
Personen
Saldo
Zuzüge
Fortzüge
15,6%
11,7%
10,9%
7,0%
5,3%
4,9%
4,7%
4,4%
3,8%
3,6%
2,7%
10,6%
5,7%
6,6%
2,2%
1...,50,51,52,53,54,55,56,57,58,59 61,62,63,64,65,66,67,68,69,70,...92
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