Seite 75 - DIE_WOHNUNGSWIRTSCHAFT_2014_08

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ternehmen – schon sehr lange. Die zahlreichen
Konzepte, die es auf Objekt- oder auch Quartier-
sebene gibt, um den Bestand demografiegerecht
zu entwickeln, sind hier zu nennen. Insoweit ist
die Verbesserung der Zuschüsse für den pflege-
gerechten Umbau von Wohnungen seitens der
Bundesregierung zu begrüßen.
Es geht jetzt aber auch darum, dass wir gezielt
barrierefreie und barrierearme Neubauten er-
stellen müssen, die in 10 bis 25 Jahren am Markt
verfügbar sind, wenn der Alterungsprozess in un-
serer Gesellschaft seinen Höhepunkt erreicht. Die
große Zahl an Hochbetagten und Menschen mit
körperlichen Einschränkungen kann nur sinnvoll
versorgt werden, wenn wir jetzt neu bauen und
die Bestände über den Zeitablauf abschreiben,
entschulden und in die bezahlbaren Segmente
hineinwachsen lassen. Der größte Bedarf an be-
zahlbaren, altengerechtenWohnungenwird dann
entstehen, wenn die geburtenstarken Jahrgänge
in diese Lebensphase eintreten, wenn die Anzahl
der älteren und hochbetagten Menschen drama-
tisch zugenommen hat.
Wennwir dieseWohnungen jetzt nicht bauen, wer-
den wir einen dramatischen Fehlbestand haben.
Dafür gilt es, jetzt sehr schnell die entsprechenden
Rahmenbedingungen zu schaffen und seitens der
Politik deutliche Prioritäten – auch in den Kom-
munen – zu setzen.
Und mit Blick auf das Personal der Unterneh-
men…Nur Azubi-Kampagnen zu organisieren,
dürfte bald nicht mehr reichen. Wie kann der
Verband seine Unternehmen unterstützen?
Der vbw hat sich schon immer auf vielfältige Art
und Weise um die Personalentwicklung und Qua-
lifizierung gekümmert. Über unsere AWI Akade-
mie der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft,
einem Tochterunternehmen des vbw, sowie über
die enge Zusammenarbeit mit der Hochschule für
Wirtschafts- und Umwelt Nürtingen/Geislingen
bieten wir zahlreiche Fortbildungs- und Ausbil-
dungswege an. Traditionell wechseln auch immer
wieder qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitar-
beiter – insbesondere aus demPrüfungswesen – in
Leitungsfunktionen unserer Unternehmen.
Künftig wird es noch mehr darauf ankommen,
auch in der dualen Ausbildung die Kooperation
zwischen kleinen und mittleren Unternehmen zu
verbessern. Hochwertige Qualifikationen, z. B.
im Bereich der Projektentwicklung, die bis in den
akademischen Bereich hineinreichen können, sind
zu entwickeln. Sie sind deshalb notwendig, weil
wir ansonsten die immer komplexer werdenden
Anforderungen imBereich der Projektentwicklung
nicht meistern können. Hier gibt es erste Ansätze,
die wir konsequent weiterverfolgen wollen.
Sind kleinere Wohnungsunternehmen mit
einer überschaubaren Anzahl von Wohnein-
heiten und wenigen Mitarbeitern längerfristig
überhaupt noch zukunfts- und schlagfähig?
Sind Kooperationen ein Ausweg?
Kooperationen, Arbeitsgemeinschaften oder
sonstige Formen der Zusammenarbeit bleiben
eine sehr wichtige Aufgabe für die Wohnungsver-
bände. Kleinere undmittlere Unternehmen haben
mit den immer komplexer werdenden Rahmen-
bedingungen erfahrungsgemäß zunehmend Pro-
bleme, um noch sinnvoll Bestandsquartiersent-
wicklung oder auch Neubauten in bestimmten
Größenordnungen alleine voranzubringen. Hier
unterstützen wir und wollen dies in Zukunft noch
aktiver angehen.
Stichwort Migration. Einige Städte im Ver-
bandsgebiet sind klassische Zuwandererstäd-
te. Welche Bedeutung haben Quartierskon-
zepte für Integration und Stadtentwicklung?
Die Integration von zugewanderten Menschen ist
ein klassisches Thema der Wohnungswirtschaft.
Wir haben hier eine große Tradition vorzuweisen,
denken Sie nur an die Aufnahme der vielen Flücht-
linge in der Zeit nach demZweitenWeltkrieg. Vie-
le Wohnungsunternehmen in unserem Verband
haben hier sogar ihre Wurzeln. Insofern ist das
Thema für uns nicht neu. Die moderne Form der
Integration heißt aber gezielte Quartiersentwick-
lung, die Stabilisierung oder Entwicklung funk-
tionierender Nachbarschaften und eines guten
Miteinanders.
Viele Wohnungsunternehmen, besonders natür-
lich die größeren Unternehmen in den Ballungs-
räumen, haben hierin schon einen hohen Grad an
Professionalität erreicht. Die Erkenntnis gilt es
noch mehr als bisher zu systematisieren und zur
Verfügung zu stellen, damit alle davon profitieren
können. Insbesondere müssen wir auch unsere
Leistung noch deutlicher als bisher herausstellen,
da wir uns auch in dieser Rolle von der Politik
und der Gesellschaft noch nicht genug gewürdigt
sehen.
Für die Städte und Gemeinden ist Quartiersent-
wicklung etwas Essenzielles. Unsere jahrzehnte-
lange Erfahrung können und sollten wir hier auf
allen Ebenen noch stärker einbringen.
Sehen Sie vor dem Hintergrund der derzeiti-
gen Marktlage die Gefahr weiterer Priva-
tisierungen öffentlicher Wohnungs- und
Immobilienbestände?
Die Erfahrungen mit den Privatisierungen in
unterschiedlichen Sektoren der Kommunalwirt-
schaft dürften abschreckend genug sein, umwei-
tere Privatisierungen zu fordern. Insofern glaube
ich, dass keine akute Gefahr besteht. Die weit
größere Gefahr sehen wir imMoment darin, dass
durch eine immer praxisfernere, kompliziertere
und engere Ausgestaltung der Rahmenbedingun-
gen eine sinnvolle wirtschaftliche Tätigkeit im
Rahmen der kommunalen Daseinsvorsage kon-
terkariert wird.
Auf vielen Rechtsgebieten – vom Vergaberecht
über das Beihilferecht bis zum Gemeindewirt-
schaftsrecht – wird der Handlungsspielraum der
Kommunen und ihrer Gesellschaften beschnitten.
Damit werden der Versorgungsauftrag und die
wirtschaftliche Tragfähigkeit vieler Geschäfts-
modelle dramatisch eingeschränkt. Die im eu-
ropäischen Vergleich einzigartige und unter dem
Strich erfolgreiche deutsche Kommunalwirt-
schaft wird durch diese Fehlinterpretation des
Wettbewerbsrechts mehr als behindert. Dagegen
gilt es konsequent Stellung zu beziehen.
Nachhaltigkeit – ist das eher Mode oder ein
Zukunftsthema? Was müsste die Branche tun?
Ich denke, der Wohnungswirtschaft muss man
Nachhaltigkeit nicht erklären. Der langfristige
Erfolg unserer Mitgliedunternehmen ist der beste
Beleg für die nachhaltige Geschäftspolitik. Traditi-
onell sind unsere Unternehmen ökonomisch, sozi-
al und ökologisch verantwortlich und erfolgreich.
Wir müssen das aber noch deutlicher als bisher
kommunizieren.
Wo steht die Wohnungswirtschaft Baden-
Württembergs in fünfJahren?
Ichwünschemir, dass wir in fünf bis sieben Jahren
von uns behaupten können:
• Wir sind die ökonomisch erfolgreichsten Unter-
nehmen in unserer Branche, weil wir unseren
Mitgliedern, Kunden und Gesellschaftern den
höchsten Nutzen und die besten Angebote bie-
ten.
• Wir sind die aktivsten Unternehmen in der
Stadt- und Quartiersentwicklung.
• Wir sind die Vorreiter im Umgang mit dem
demografischen Wandel, weil wir die entspre-
chenden Angebote schaffen.
• Wir sind auch die attraktivsten Arbeitgeber in
der Wohnungs- und Immobilienbranche, weil
wir die spannendsten Aufgaben und die besten
Arbeitsplätze bieten und schließlich
• zu unserem Verband wünsche ich mir, dass wir
die Leistungskraft unserer Mitgliedsunterneh-
men gut darstellen und repräsentieren.
Herzlichen Dank für das Interview!
Das Interview führte Olaf Berger.
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