Seite 32 - CONTROLLER_Magazin_2011_05

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Wie kommt man als Controller an notwendige
Daten, Annahmen und Informationen, um
möglichst belastbare Berichte und Prognosen
erstellen zu können?
Elektronische Progno-
semärkte (EPM)
sind eine Methode, um das
verteilte
Wissen von Mitarbeitern
zu einem
vorgegebenem Thema in wenigen Tagen sam-
meln und
in harte Zahlen umwandeln
zu
können. Anhand von Fallstudien soll hier ge-
zeigt werden, wie Unternehmen wie die Deut-
sche Telekom, Henkel, Syngenta und Tchibo
EPM nutzen, um die Kosten der Informations-
beschaffung zu senken und zugleich deren
Qualität zu erhöhen.
Funktionsprinzip
Elektronische Prognosemärkte sind
web-ba-
sierte Informationsbörsen
, die innerhalb von
Unternehmen das Wissen der Mitarbeiter aus
verschiedenen Abteilungen in kürzester Zeit
bündeln können (Abbildung 1). Die Mitarbeiter
sehen in einem EPM-Portal bestimmte Progno-
sefragen, z. B.
„Wie wird der Absatz von Produkt
X in KW14 sein?”.
Die Teilnehmer geben ihre
Meinung ab und machen dabei auch einen Ein-
satz auf ihre Prognose mit Spielgeld. Je sicherer
man sich ist, desto mehr kann man einsetzen.
Dieses System schafft einen Anreiz für Mitarbei-
ter,
möglichst genaue individuelle Prognosen
zu machen, denn je näher man am tatsächlichen
Ergebnis liegt,
desto mehr Spielgeld gewinnt
man
. Um einen echten Anreiz zu schaffen, kön-
nen die Monatsbesten echte Preise gewinnen
und erhalten unternehmensweite Visibility.
Das EPM-System bündelt alle abgegebenen
Meinungen zu einer konsistenten Gesamtprog-
nose, die nachweislich genauer
1,2
ist als tradi-
tionelle Methoden, wie etwa statistische
Schätzungen oder Umfragen. Zudem ist das
System
selbst-reinigend
, d. h. diejenigen, die
oft schlecht tippen (oder mit Absicht falsch
tippen), verlieren „Cash” und haben bei der
nächsten Prognosefrage weniger Spielgeld,
wodurch ihr Einfluss auf die Gesamtprognose
sinkt.
Die
Henkel AG & Co. KG
nutzt EPM in ihrer
Supply-Chain-Planung, um mit genaueren
EPM-Prognosen ihre Einkaufs- und die Pro-
duktionsplanung zu optimieren. Bei Henkel
konnte das EPM-System die Prognosegenau-
igkeit um 15 Prozentpunkte steigern. Dieser
Verbesserungssprung gelang, da der EPM-An-
satz zum ersten Mal das gesamte relevante
Wissen aus Lager, Produktion, Vertrieb und
Zentrale kurzfristig und aufwandsarm zusam-
menführen konnte, anstatt Prognosen nur auf
dem Wissen einer kleinen Gruppe von Exper-
ten aufzubauen.
In einer Region wie Nordamerika ergeben sich
für Henkel
durch die erhöhte Planungsquali-
tät jährliche EBIT-Steigerungen
im hohen
zweistelligen Millionenbereich. Diese entstehen
einerseits durch die Vermeidung von ent-
gangenen Umsätzen, welche den größten EBIT-
Impact haben, als auch durch die Optimierung
von Rohstoffeinkauf und Lagerhaltung.
Anwendungsbereiche
Abbildung 2 zeigt typische Anwendungen von
EPM. Die häufigsten Anwendungen umfassen:
·
Regelmäßige
Absatzprognosen
verschie-
denster Produkte und Dienstleistungen,
·
Prognosen für Neuprodukte
und -dienste,
zu denen noch keine historischen Daten vor-
liegen,
·
Lieferung von
Inputs für Projektanträge
,
z. B. Entwicklungskosten und -dauer sowie
Umsatzpotenzial,
·
Sowie die
Schätzung
einer Vielzahl
von
Risikoparametern und Wahrscheinlich-
keiten
.
Eine 4-jährige Studie
von McKinsey & Co.
,
welche 2010 veröffentlich wurde, weist EPM
als eine von 12 mi t t lerwei le etabl ier ten
Web2.0-Methoden
in Unternehmen aus.
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Da-
rin wird der positive Einfluss derartiger Ansätze
auf das Unternehmensergebnis erstmals empi-
risch nachgewiesen.
Kosten und Nutzen von EPM
Unternehmen setzen EPM primär aus zwei
Gründen ein (Abbildung 2). Zum einen gilt es In-
formationskosten, die durch Marktforschung,
kostenpflichtige externe Datenquellen und Ana-
lysten-Reports entstehen, zu senken. Das andere
Ziel kann sein, die Qualität von Inputs, die in
Controlling und Planung einfließen, zu erhöhen,
wie im Falle von Henkel im Text gezeigt.
Als Controller ist man bei der Arbeit an Berich-
ten, Budgets und Prognosen auf verschiedenste
Informationen angewiesen, für die entweder
hohe externe Kosten durch Marktforschung
entstehen, oder in aufwendigen internen Pro-
zessen über verschiedene Abteilungen hinweg
kostbare interne Ressourcen gebunden werden.
Die
Tchibo GmbH
beispielweise nutzt
für ihre
neuen Non-Food-Produkte
einen Prognose-
Absatzprognosen ohne Marktforschung:
Wie geht das?
Kollektive Intelligenz – intelligent genutzt
von Christian Halemba und Aleksandar Ivanov
Absatzprognosen ohne Marktfoschung: Wie geht das?