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So manche oder mancher träumt in der Jugend davon,
als
Skandale aufzudecken oder eine berühmte
Fernsehreporterin zu werden, renommierte Auszeichnun-
gen für investigative Recherchen im Hinterkopf. Journalist
darf sich im Grunde genommen jeder nennen, denn der
Titel ist nicht geschützt. Warum sollte also ein Blogger mit
Talent zum Schreiben und vielleicht sogar großem Fach-
hintergrund nicht umsatteln und sich als publizistischer
Existenzgründer selbstständig machen? Laut dem Deut-
schen Journalisten-Verband (DJV) ist ein Journalist, wer
sich „hauptberuflich an der Verbreitung und Veröffentli-
chung von Informationen, Meinungen und Unterhaltung
durch Massenmedien beteiligt.“
Doch trotz des schönen Scheins zahlreicher Fernsehsen-
der mit bundesweit bekannten Gesichtern oder mit Prei-
sen überhäufter Magazin- und Zeitungsjournalisten – die
Realität in der Branche sieht zurzeit für viele eher düster
aus und hat mit Jugendträumen wenig gemeinsam. Sin-
kende Honorare, immer höhere Belastungen unter ande-
rem durch Multimedialität, der Druck der Medien, sich
­immer weitergehende Nutzungs- beziehungsweise Ver-
wertungsrechte zu sichern – gerade freie Journalisten
müssen an vielen Fronten kämpfen. Zudem wächst der
wirtschaftliche Druck auf Verlage und Sender. Ein Ergeb-
nis der verschärften Marktsituation. Eine weitere Folge:
immer mehr Arbeiten werden „outgesourct“ und in freie
Redaktionsbüros verlagert, die kostengünstiger produzie-
ren – und nicht selten unter Selbstausbeutung leiden.
Im
zeichnet Volker Lilienthal –
Professor für Journalistik und Kommunikationswissenschaft
an der Universität Hamburg – ein düsteres, aber wirklich-
keitsnahes Bild und weist auf Untersuchungen hin: „Zahl-
reiche freie Journalisten kommen … nicht ohne eine Misch-
kalkulation über die Runden. Nach einer Münchner Studie
üben 44 Prozent der befragten freien Journalisten Neben-
tätigkeiten aus. PR und Werbung sind dabei die wichtigs-
ten Felder. Und eine Hamburger Untersuchung, bei der die
Mitglieder des Berufsverbands Freischreiber e.V. befragt
wurden, ergab, dass knapp zwei Drittel der freien Journa-
listen mit Doppeltätigkeiten ohne das Zusatzeinkommen
aus PR-Aufträgen nicht überleben könnten.“ Freier, klassi-
scher Journalismus ist nach derzeitiger Lage – und unserer
eigenen Erfahrung – ohne Nebentätigkeit, zum Beispiel im
PR-Bereich, nur schwer zu praktizieren. Nicht wenige freie
Journalisten leben unter der Armutsgrenze und verdienen
weniger als 10.000 Euro jährlich. Manche müssen zusätz-
lich über die Jobcenter der kommunalen Arbeitsagenturen
„aufstocken“ und staatliche Hilfe in Anspruch nehmen.
Freie Journalisten gibt es in verschiedenen Formen: als
Freiberufler oder „feste Freie“. Der Deutsche Journalisten-
Verband (DJV) schätzt die Zahl der hauptberuflich freien
Journalisten auf etwa 25.000 (laut einer Studie waren es
2006 nur 12.000 Freie). Mit den sozialen Netzen haben sich
zahlreiche Mischformen etabliert: Manche Journalisten
bloggen, manche Blogger arbeiten als Journalist. Unter
den zirka aktiven 300.000 Bloggern in Deutschland gibt es
etliche Profis – manche sind als kleine Eigenverlage zu
zählen. (Quelle:
, der sich auf Er-
gebnisse der jährlichen ARD-/ZDF-Studie bezieht und –
empirisch – von 300.000 sehr aktiven Blogs bis zu einer
Gesamtzahl von 1 bis 1,5 Mio. ausgeht).
Gerade Fach-Blogger mit „Expertenstatus“ haben sich
ihre „Gefolgschaft“ erarbeitet. Und die ist schnell wieder
weg, wenn nichts Interessantes mehr kommt. Insofern
müssen diese Blogger sich Themen mit Neuheitswert er-
schließen, müssen recherchieren und Fachwissen vorwei-
sen – wie Journalisten. Die Unterschiede zwischen Jour-
nalisten und Bloggern liegen häufig in einer starken
Meinungslastigkeit der Blogs im Gegensatz zu (zumindest
versuchter) Ausgewogenheit der Stile und journalisti-
schen Darstellungsformen in klassischen Medien. Blogs
können sich zudem umfassend einem Randthema wid-
men, dem klassische Medien – schon aus Finanzierungs-
gründen – nicht so viel Platz einräumen würden.
Blogger sind schnell – denn in der Blogosphäre ist
Schnelligkeit durchaus ein Kriterium. Etliche Blogbeiträge
sind nicht unbedingt als „Grundsatzartikel“ mit umfassen-
der Recherche gedacht. In vielen Blogs steht die Diskus-
sion um das Thema im Mittelpunkt, denn viele Kommen-
tare und Pingbacks sind eine wichtige „Währung“. Links
und Vernetzung sind Lebenselixiere der Blogs.
Das Bloggen hat sich etabliert – und auch wenn es manche
„Freizeitblogger“ nicht gern hören: Sie unterliegen unter an-
derem dem Telemediengesetz – zum Beispiel der Impres-
sumspflicht. Der Blogger und Journalist Tim Cole befasste
sich in einem Artikel mit der Frage,
. Anlass für seinen Beitrag
war eine Aktion der „Welt“. Am 1. Juli 2010 erschien eine
Ausgabe der Tageszeitung „Welt kompakt“ aus dem Axel-
Springer-Verlag, deren Inhalt unter anderem von einer hand-
verlesenen Gruppe von Bloggern erstellt wurde. Dieses „ge-
wagte Medien-Experiment“, wie die große Schwester „Die
Welt“ dazu schrieb, führte zu einem erheblichen Medienecho.
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