Wirtschaft und Weiterbildung 7-8/2022

training und coaching 40 wirtschaft + weiterbildung 07/08_2022 untereinander vernetzt sind. Zur systemischen Sichtweise gehört auch, dass man sorgfältig zwischen dem Beobachter und dem, was er beobachtet, unterscheidet. Wenn ein Leser (Beobachter) sagt: „Das Buch (Gegenstand der Beobachtung) hat mir überhaupt nichts gebracht“, dann sagt das weniger über die Qualität des Buchs aus als vielmehr etwas über den Leser. Offenkundig war er nicht in der Lage, das Buch für seinen Lernprozess zu nutzen. Gängige Kritik am systemischen Ansatz Kritiker befürchten, dass sich Coachs möglicherweise immer gleich auf das System stürzen, ohne zu analysieren, ob das Anliegen eines Klienten tatsächlich etwas mit seiner Beziehung zur Umwelt zu tun hat. Ein Mensch, der Angst hat, vor Gruppen frei zu sprechen, ist hirnphysiologisch oft einfach nur zu sensibel. Seine Angst kann mit einer auf ihn abgestimmten Verhaltenstherapie viel besser gemildert werden als mit systemischen Techniken. Die systemische Therapie gilt grundsätzlich als sehr erfolgreich. Im Jahr 2008 erhielt sie eine wichtige Anerkennung durch den Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie (WBP) der Bundespsychotherapeutenkammer und der Bundesärztekammer und erlangte die Anerkennung als Kassenleistung im Gesundheitssystem. Leider konnte beobachtet werden, dass Coachs den Aufstieg des Begriffs „systemisch“ nutzten, um sich als modern und seriös darzustellen, ohne sich durch eine Weiterbildung entsprechendes Fachwissen angeeignet zu haben. Natürlich gilt das längst nicht für alle systemischen Coachs. Aber niemand konnte verhindern, dass das Wort „systemisch“ aus allen nur denkbaren Richtungen ausgehöhlt wurde und zur Marketing-Masche verkam. Die Methode des lösungs- orientierten Coachings Allem Anschein nach wird das Label „systemisch“ gerade durch das Modewort „lösungsorientiert“ abgelöst. Was dahinter steckt, erklärt der Diplom-Psychologe Jörg Middendorf aus Frechen-Königsdorf. Der Leiter des BCO Büro für Coaching und Organisationsberatung ist Senior Coach (DBVC), Professional Certified Coach (ICF) und Autor der beiden Fachbücher „Lösungsorientiertes Coaching“ (2018) und „Lösungsorientiertes TeamCoaching“ (2019). Laut Middendorf, der statt lösungsorientiert neuerdings das Wort lösungsfokussiert benutzt, sollten sich Coachs nicht um die Ursachen der Probleme kümmern, von denen die Klienten erzählen. Der Klient wird deshalb zu Beginn des Coachings nicht gefragt „Was führt Sie zu mir?“ oder „Was ist Ihr Anliegen?“, weil dies automatisch dazu ermuntern könnte, dass der Klient sein Problem schildert. Beim lösungsfokussierten Ansatz hält man dies für nicht zielführend – vor allem aber für überflüssig. Der lösungsfokussierte Ansatz nimmt die erwünschte Zukunft als Ausgangspunkt für das weitere Coaching. Daher lautet bei Middendorf die erste Frage häufig: „Was ist Ihre kühnste Hoffnung in Bezug auf das Ergebnis unserer Zusammenarbeit?“ Es wird also direkt nach der erR Auf dem Weg zum „Exportschlager“ Eine Vielzahl deutscher Beiträge aus Wissenschaft und Praxis zur Weiterentwicklung des Business Coachings wird international nicht wahrgenommen, weil die Autoren nicht auf Englisch publizieren. Für Abhilfe will jetzt die vollständige Übersetzung des „Handbuchs Schlüsselkonzepte“ sorgen, die unter dem Titel „International Handbook“ bei Springer erschienen ist. Damit das Buch die ihm gebührende Aufmerksamkeit bekommt, wurden für die englischsprachige Version zusätzlich noch der britische Coaching-Papst Jonathan Passmore und weitere ausländische Autoren gewonnen. Mit dabei ist zum Beispiel auch David Clutterbeck, ein Experte für künstliche Intelligenz im Coaching oder Anthony M. Grant und Sean O´Connor mit dem Thema „Ziele in der CoachingPraxis“. Aber auch von einigen deutschen Coachs sind neue (jetzt natürlich englischsprachige) Beitäge abgedruckt - wie zum Beispiel die Arbeit mit „Motto-Goals“ (Maja Storch) Wissenschaft. Der bahnbrechende Sammelband „Handbuch Schlüsselkonzepte im Coaching“ (Springer 2018) wurde um zehn neue Beiträge erweitert und komplett ins Englische übersetzt. Buchtipp. „International Handbook of EvidenceBased Coaching“, Springer, Wiesbaden 2022, 996 Seiten, 85,99 Euro oder „Aha-Effekte im Coaching“ von Felix Müller und Siegfried Greif. Jeder Beitrag beginnt und endet mit einem Praxisbeispiel. Dazwischen wird definiert und das Pro und Kontra durchgekaut. Wertvoll ist auch das Literaturverzeichnis, das jedem Beitrag anhängt, denn hier zeigen sich die ganze Leistung der deutschsprachigen Coaching-Vordenker.

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