Wirtschaft und Weiterbildung 7-8/2022

personal- und organisationsentwicklung 32 wirtschaft + weiterbildung 07/08_2022 und Prozesse, Compliance-Themen oder Sicherheitszertifizierungen. Im Kontext von Zusammenarbeit indes, also insbesondere dort, wo es um arbeitsteilige Wertschöpfung in Organisationen geht, überwiegen nicht komplizierte, sondern komplexe Herausforderungen. Entsprechend bedarf es hier Lernangeboten und -formaten, die über reine Wissensvermittlung hinausgehen. Lernangebote sollten hier neben der Wissensvermittlung ein geteiltes Verständnis für komplexe Herausforderungen und deren Lösungen vermitteln und kollaborative Muster begünstigen. Derartige Wirkungen auf Teamkonstellationen und Organisationen lassen sich nur durch Lernformate hervorbringen, die auf sozialer Interaktion beruhen – in denen sich Einsicht und neue Wirkmuster im Diskurs zwischen den Akteuren entfalten können. Anders gesagt: In komplexen Kontexten braucht es neben Wissen auch noch Können im Sinne von individueller Könnerschaft – die Fähigkeit, neuartige Probleme durch Zulieferung von Ideen zu lösen. Aber auch diese Kombination allein reicht noch nicht aus. Der Zugang zur Lösung komplexer Probleme bedarf regelmäßig projekthafter Arbeitsformen und intensiver Kommunikationsleistung zwischen Expertinnen und Könnern. Die Zusammenarbeit zur Problemlösung hat hier zudem immer mehr interdisziplinären und vernetzte Vielfalt erfordernden Charakter. Komplexe Probleme sind also regelmäßig nur in ernsthafter Zusammenarbeit lösbar. Gerade diese Art von Zusammenarbeit und Zusammenwirken ist jedoch vielerorts wenig eingeübt. Wo projekthafte Vorgehensweise und hohe Kommunikationsqualität wenig ausgeprägt sind, bleibt es häufig bei Symptombehandlung und Aktionismus. Hier bedarf es anderer Lernangebote jenseits reiner Technologie. Ein Beispiel: Die in den 1970er bis 1990er Jahren entwickelten Großgruppenmethoden, allen voran Open Space, World Café oder Zukunftskonferenzen, haben in dieser Hinsicht beeindruckende Beiträge geleistet und bahnbrechende Diskursformen popularisiert – fast ohne notwendige Digitaltechnologie. Diese Formate können jedoch nicht ohne Weiteres verstetigt, also regelmäßig angewandt werden. Und sie sind nicht leicht auf sehr große Gruppen hin skalierbar. Die inhaltliche Dimension tritt bei diesen Methoden zudem nur zu leicht in den Hintergrund – insbesondere dann, wenn den Aspekten der Freiwilligkeit, der Dringlichkeit für die Teilnehmenden und der präzisen Themenwahl bei der Vorbereitung der Formate zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Maximale Lernwirkung bedarf mehr als Technologie Lernangebote für komplexe Kontexte müssen generell, ganz wie Open Space und World Café, auf sozial vernetztem Lernen und aktivem Diskurs basieren. Reflektierend auf Augenhöhe miteinander umzugehen, muss jedoch ebenso geübt werden wie alle anderen Dinge auch. Das bedeutet: Einmalige DiskursEvents allein führen nicht zum Ziel. Es braucht Wiederholung, Rhythmik und iterative Methode, um geteilte Einsicht und für komplexe Problemlösung förderliche Interaktionsmuster zu entwickeln. Der Markt der Lerntechnologien ist eine auffällig technologiefokussierte Nische. Die meisten sogenannten „Trends“ im Bereich „Learning and Development“ sind sogar ausschließlich technologiegetrieben. Bestes Beispiele dafür ist die „Virtual Reality“. Die Dominanz der Technologieorientierung ist wohl vor allem dadurch zu erklären, dass es sich beim Markt der Lerntechnologien oder Ed-Tech um einen jungen und ausgesprochen unreifen Markt handelt. Die Fokussierung auf Codes, Chips, Bits und Bytes ist also durchaus nachvollziehbar. Diese Fokussierung hat allerdings auch ihren Preis. Denn in Märkten wie diesen gilt: Nicht jede Innovation ist auch ein Fortschritt. Wissensvermittlung im Fokus Bei Lernen und Entwicklung in Organisationen wird dem individuellen Lernen, genauer der individuellen Wissensvermittlung oder -aufnahme, bis heute besonders viel Raum gegeben. Dafür gibt es verschiedene Gründe. So sind die meisten von uns mit den Konzepten der Wissensvermittlung und -aneignung aus Schule, Ausbildung und Studium bestens vertraut. Hinzu kommt: Individuelles Wissen ist in Organisationen tatsächlich seit jeher von hoher Bedeutung und wird immer relevant bleiben. Denn in komplizierten Kontexten bedarf es zur Problemlösung vorrangig des Wissens. Wenn wir in Organisationen von Expertise und Expertentum sprechen, dann meinen wir häufig genau dies: die Zulieferung von Wissen, mit dem sich bekannte, komplizierte Probleme lösen lassen. Beispiele, wo das gut funktioniert, sind Standards So hilft auch die beste Lerntechnologie nicht E-LEARNING. Der Ed-Tech-Markt boomt und viele Unternehmen sind bereit, in immer trendigere Lösungen zu investieren. Doch dabei bleiben allzu oft Lerninhalt und Lern- methode auf der Strecke – und damit die Wirkung auf Wertschöpfung und Performance. Ein Plädoyer für einen E-Learning-Dreiklang aus Technologie, Didaktik und Content.

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