Wirtschaft und Weiterbildung 7-8/2022

wirtschaft + weiterbildung 07/08_2022 21 Verhaltensökonomen durchleuchten das Berufsleben Die Verhaltensökonomie basiert vor allem auf ökonomischen Experimenten – auf Feldexperimenten, also Studien im normalen Arbeitsprozess, und auf Laborexperimenten oft mit Studenten. 50 Situationen von der Bewerbung über den Berufswechsel, das Homeoffice, die Führung durch Beispielgeben bis zu Fairness und der Gehaltsfrage, vom unmoralischen Verhalten, über die richtigen Anreize für Entscheidungen bis zum Einfluss von Charisma – all das beschreibt Sutter in seinem Buch. Jedes Kapitel ist für sich abgeschlossen und lässt sich separat mit Gewinn lesen. Körpergröße und Gehalt So manches Ergebnis überrascht. Im Bewerbungsprozess muss jede Vorstellung eines Kandidaten oder einer Kandidatin miteinander verglichen werden. Also ist es besser, als Kandidat oder Kandidatin am Schluss der Gespräche zu stehen. Frauen sind in der Regel weniger wettbewerbsaffin als Männer. Das hat Auswirkungen auf die Karrieren beider Geschlechter. Quotenregelungen motivieren bestqualifizierte Frauen, sich dem Wettbewerb zu stellen, was deren Aufstiegschancen verbessert. „Das Gerede von unqualifizierten Quotenfrauen ist empirisch nicht zu belegen“, so Sutter. Die Körpergröße spielt zumindest bei Männern eine Rolle beim Gehalt. Größere Menschen verschaffen sich offenbar in Jugendjahren bessere soziale Fähigkeiten durch Mitgliedschaft in Vereinen – wie etwa Teamfähigkeit, Ausdauer und Kompromissfähigkeit – und das wirkt sich später im Beruf in einem höheren Gehalt aus. Kontrollmechanismen zerstören Vertrauen nur dann, wenn man sie permanent anwendet. Wer jemanden allerdings trotz Kontrollmöglichkeiten bewusst einen VerWissenschaft. Matthias Sutter ist Verhaltensökonom. In dieser recht neuen Disziplin der modernen Wirtschaftswissenschaft werden Experimente genutzt, um die Motive menschlichen Handelns zu ergründen und um die Entscheidungen von Wirtschaftssubjekten besser zu verstehen. trauensvorschuss gewährt, erhöht das wechselseitige Vertrauen. Bessere Bezahlung kann den Druck erhöhen und sogar kognitive Prozesse betreffen. Entscheidungen werden daher nicht automatisch besser, wenn man mehr Geld für gute Entscheidungen ausgibt. Social Skills zahlen sich immer mehr aus. Vergleicht man die sozialen Fertigkeiten bei Arbeitnehmenden in den 1980er Jahre, so machten sie nur zwei Prozent des Gehaltszuwachses aus, zehn Jahre später waren es vier Prozent. Frauen, die in den vier Faktoren – allgemeine Fähigkeiten, Umsetzungskraft, Charisma und strategisches Denken – gleich gut abschnitten wie Männer, wurden trotzdem seltener zum CEO bestellt. Geduldige Arbeitslose schneller wieder in Arbeit Die Ergebnisse sind jedoch mit Vorsicht zu genießen. So wurden sie häufig durch einzelne Studien belegt. Stefano DellaVigne von der University of California in Berkely und Daniele Pasermann von der Hebrew University in Jerusalem untersuchten den Zusammenhang zwischen der Dauer der Arbeitslosigkeit und der Geduld des Arbeitslosen. Dabei erfassten sie unter anderem, ob die Betroffenen Raucher waren. Sie gelten als ungeduldiger. Ersparnisse deuteten auf höhere Geduld hin. Aus diesen und anderen Kriterien, schlossen sie dann, dass geduldige Menschen eher eine Stelle fanden. Was aber wenn der Nichtraucher ungeduldig ist? Oder der Sparer wenig Geduld hat? Ein anderes Beispiel: Weil alle Mitarbeitenden einer Backwarenkette einen Teambonus bekamen, zogen alle am selben Strang und konnten ihre Arbeitsergebnisse besser optimieren. Was aber, wenn ein fauler Mitarbeitender zu Unrecht von dem Teambonus profitieren würde? Alle Annahmen der Studien müssen kritisch hinterfragt werden und sind nicht zu verallgemeinern. Matthias Sutter: „Der menschliche Faktor – oder worauf es im Berufsleben ankommt“, Hanser Verlag, München 2022, 258 Seiten, 29,99 Euro Matthias Sutter. Er ist laut FAZ-Ranking einer der einflussreichsten Ökonomen Deutschlands. Er kümmert sich darum, Menschen im beruflichen Kontext besser zu verstehen.

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