titelthema 20 wirtschaft + weiterbildung 07/08_2022 Jede Realität war mal Utopie Das Buch enthält die „Zukunftsvision einer besseren Arbeitswelt“. Carsten Schermuly lehrt an der SRH Hochschule in Berlin und zählt zu den führenden Forschern zum Thema „New Work“. In seinem Buch geht es um die von ihm erfundene Firma „Stärkande“, die nach 22 Regeln funktioniert. Da ist kein Platz für Machtspiele, Gier und Egoismen. Selbstbestimmung und Partizipation werden groß geschrieben. Während einer Wachstumsphase musste die Firma lernen, dass „Selbstorganisation in Kombination mit steigender Unternehmensgröße zu Chaos führte“. Hier reflektiert Schermuly Erfahrungen, die in der Wirklichkeit zu beobachten sind, und bietet für die fiktive Firma ein Lösungsrezept an: Stärkande wird in kleine Einheiten, sogenannte „Phylen“, aufgeteilt, die maximal 150 Mitarbeitende umfassen. Diese werden von „Phylarchen“ geführt, die einem „Council“, einer Art Führungsgremium, vorstehen und sich mit den anderen Geschäftseinheiten im „Boule“ koordinieren. Wegen der Größe kommt Stärkande nicht ohne Hierarchie aus. Diese Führungspositionen sind für Schermuly Rollen, die zeitlich begrenzt wahrgenommen werden und rollieren. Die UnternehmensorganiCarsten C. Schermuly: „New Work Utopia“, Verlag Haufe-Lexware, Freiburg im Breisgau 2022, 150 Seiten, 29,99 Euro sation baut also auf der Stärke von kleinen, überschaubaren Einheiten auf. Das gilt auch für die Führungskultur, die nicht durch Machtausübung und Vorgaben, sondern durch psychologisches Empowerment der Mitarbeitenden geprägt ist. Selbstbestimmung, Bedeutsamkeit, Einfluss und Kompetenz nennt Schermuly als wesentliche Elemente dieser Kultur, die der Wirtschaftspsychologe so prägnant und allgemein verständlich erläutert, wie man das selten gelesen hat. Der Autor hält für die Lesenden eine große Menge an Anregungen bereit, etwa zu Regeln für Homeoffice oder Meetings. Er entwickelt Konzepte zum Einsatz einer KI-basierten Software, die kein Herrschaftsinstrument ist, sondern Stärkande hilft, sich besser zu organisieren. Der Begriff „Utopia“ spielt auf eine Schrift, einen utopischen Zukunftsentwurf, von Thomas Morus an (englischer Staatsmann und humanistischer Autor, 1478-1535). Vergleicht man die Werke, fällt auf: Thomas Morus beschreibt in „Utopia“ ein Idealbild der Gesellschaft, in das er allerdings immer die Wirklichkeit „einbrechen“ lässt. Die Utopier sind gegen Kriege, allerdings reflektiert Morus auch, in welchen Fällen die Kriegsführung der Utopier gerechtfertigt ist. Morus möchte die Sklavenhaltung zurückdrängen, aber nicht abschaffen. Seine Utopie hat viele dunkle Flecken. Schermuly vermittelt in „New Work Utopia“ die Vision einer Firma, die nach innen auf humanistische Prinzipien aufgebaut ist. Offen bleibt die Frage, wie sich Stärkande in einer kapitalistischen Wirtschaft behaupten kann. Beim Kampf um Marktanteile bleibt regelmäßig manches Ideal auf der Strecke. Eine Führungskultur mit Empowerment wird oft mit Konflikten unter den Beschäftigten konfrontiert, die in der menschlichen Natur begründet sind. Auf eine Konfrontation der Utopie mit den dunklen Seiten der Wirklichkeit hat Schermuly bewusst verzichtet. Diese Arbeit überlässt er den Leserinnen und Lesern. Die Ausarbeitung der Utopie einer humanistisch geführten Firma ist beeindruckend und das große Verdienst von Schermuly. Mehr dunkle Flecken in der rosaroten Arbeitskultur von Stärkande hätten der Glaubwürdigkeit der Utopie aber gutgetan. Benno v. Aerssen et al. (Herausgeber): „Das große Handbuch Digitale Transformation: 222 Methoden und Instrumente für mehr Wandlungsfähigkeit im Unternehmen“, Verlag Vahlen, München 2022, 657 Seiten, 79 Euro Werkzeuge für alle Situationen Das Buch gilt in der deutschen Digitalisierunsszene als das umfangreichste Methodenhandbuch zur Digitalen Transformation. Es erschien im Großformat und ist komplett vierfarbig. Außerdem bietet es einen „Digitrans-Canvas“ zur Auswahl eines passenden Werkzeugs für jede nur denkbare Situation in den veränderungsbereiten Unternehmen. Um Projekte in der digitalen Zukunft in wesentlich kürzeren Zyklen realisieren und somit auch anlass- und aktualitätsbezogen am Markt bestimmte Produkte oder Services platzieren zu können, bedarf es schlanker, pragmatischer und strukturierter Vorgehensweisen und Methoden, die in diesem Buch vorgestellt werden. Das Buch stiftet besonders großen Nutzen, wenn man es als „Geschwisterbuch“ zu dem Vahlen-Buch „Das große Handbuch Innovation: 555 Methoden und Instrumente für mehr Kreativität und Innovation im Unternehmen“ betrachtet. Auch dieses ältere Buch beschreibt Methoden, mit denen man ein Unternehmen digital transformieren kann. Anders als beim „Großen Handbuch Innovation“ kann die Zielgruppe der potenziellen Leserschaft aber als wesentlich breiter angenommen werden.
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