Wirtschaft und Weiterbildung 1/2022

28 wirtschaft + weiterbildung 01_2022 titelthema leginnen seien inzwischen „Vice President“ oder „Head of Irgendwas“. Neulich fragte sie ein Kunde, mit wem er reden müsse, wenn er sich beschweren wolle. Dass sie hier die verantwortliche Person ist, genügte ihm nicht. Zum nächsten Termin nimmt sie deshalb einen der Geschäftsführer mit. Sie müsse erst noch Vertrauen aufbauen und dem Kunden zeigen, dass sie die richtige Ansprechpartnerin sei, auch ohne wohlklingenden Titel. „Manchmal wäre es schon einfacher, wenn ich sagen könnte, ich bin hier die Chefin. Das pikst mich immer wieder“, gibt Karbach zu. Und auch Göttmann weiß um dieses Problem: „Der soziale Druck kann groß sein, wenn der Nachbar oder die Eltern nicht verstehen, was man bei der Arbeit macht. Da fehlt die ‚Social Connectivity‘.“ Menschen möchten den Anschluss an gesellschaftliche Konvention nicht verpassen. Bestätigung in Zahlen Aber offenbar lohnt es sich dennoch, einen anderen Weg zu gehen – gerade, weil diesen bisher so wenige Unternehmen beschreiten: Die Fluktuationsrate von Metafinanz liegt bei etwa zehn Prozent – im Branchenvergleich guter Durchschnitt. Team- und Projektleitungen, Auslandserfahrung oder ein neuer Standort, die Gründe sind vielfältig. Einige lockt die klassische Karriere beim Mutterkonzern. „Manche Menschen schreckt unsere Karrierevorstellung ab, andere zieht sie besonders an“, so Resch. Auf die Frage, ob Metafinanz es sich leisten kann, auf manche Fachkräfte zu verzichten, fragt der Personaler zurück: „Können wir es uns leisten, Menschen zu gewinnen, die auf Titel Wert legen? Wir suchen Leute, die Selbstverantwortung und Teamwork lieben.“ Wichtig sei, dies in den Vorstellungsgesprächen deutlich zu sagen, um keine falschen Erwartungen zu wecken. Diese klare Haltung speist sich auch aus den Erfolgen. Angetreten, um schneller und agiler zu werden, hat Metafinanz sich von knapp 40 auf 60 Business Areas herangepirscht. Der Gewinn hat sich seit Beginn der Transformation mehr als verdreifacht. Die Kundenzufriedenheit nimmt zu: Der „Net Promoter Score“, eine Kennzahl, die misst, inwiefern Konsumenten ein Produkt oder eine Dienstleistung weiterempfehlen würden, kletterte zuletzt um vier Punkte von 87 auf 91. Auch die Zufriedenheit der Mitarbeitenden ist gestiegen oder auf hohem Niveau geblieben. Das Unternehmen hat diverse Arbeitgeberpreise abgeräumt – darunter Platz 1 von „Deutschlands Beste Arbeitgeber in der ITK 2021“ in der Größenklasse 501 bis 1.000 Mitarbeitende. „Das hätten wir nicht erreicht, wenn wir heute immer noch in Positionen und Budgets denken würden“, ist der CEO überzeugt. Budgets seien dazu da, sie auszugeben. Aber bei Metafinanz haben die Teams ihre eigene Gewinn- und Verlustrechnung, entscheiden in einem vorgegebenen Rahmen eigenverantwortlich über Gelder, neue Mitarbeitende oder Vertriebsaktivitäten. Dazu gehört ein hoher Grad an Transparenz, den die Beschäftigten auch leben können. Sie müssen verstehen, welche Zusammenhänge sich hinter Geschäftszahlen verbergen. Eine gemeinsame Vision Das alles ist anstrengend, gerade wenn es um eine nachhaltige Zukunft geht. Eine Gefahr besteht darin, dass alle ihrer eigenen Agenda folgen, anstatt in die gleiche Richtung zu marschieren. Rainer Göttman versucht immer wieder, persönliche Präsenz zu zeigen und mit den Beschäftigten in Dialog zu kommen. „Die Identifikationsarbeit ist mein Thema: Ich möchte eine starke Vision vorgeben, der alle gerne folgen.“ Er erzählt von Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Das sei ein Angebot, sich passende Produkte und Projekte dazu an Land zu ziehen und darin den Sinn für die eigene Karriere zu entdecken. „Wir sind alle ein bisschen wie ein Start-up“, sagt Jasmin Karbach. Sie und Evi Friedenberger ertappen sich oft in Gesprächen mit Freunden und Freundinnen oder ehemaligen Kollegen und Kolleginnen über deren Job dabei, dass sie sich nicht mehr recht vorstellen können, einen Chef oder eine Chefin zu haben und um Jobtitel kämpfen zu müssen. „Es ist total schön, dass in vielen Projekten auch junge Kolleginnen und Kollegen ganz begeistert in die Verantwortung gehen. Wir können hier etwas bewirken“, erklärt Evi Friedenberger. Karrierewege sind wie Verkehrslinien im Stadtplan, meint Rainer Göttmann. Man könne irgendwo einsteigen, zum Beispiel die U-Bahn nehmen und was Neues lernen. Dann biege man auch mal ab oder steige in den Bus um. Das Gegenteil – Stufe für Stufe, immer ein bisschen höher – passe für ihn nicht mehr in die heutige Zeit. „Mit einem Managementjob im Konzern hätte ich mehr soziale Anerkennung erlangt“, weiß der CEO. „Für mich ist Karriere aber, wenn es mir gelingt, Dinge zu verändern und Wert zu schaffen.“ Stefanie Hornung R Jasmin Karbach. „Manchmal wäre es schon einfacher, wenn ich sagen könnte: Ich bin hier die Chefin.“

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