R wirtschaft + weiterbildung 01_2022 25 Fast 20 Jahre lief das Business in gewohnten Bahnen. Es gab Umstrukturierungen, aber keine einschneidenden. Doch langsam wurden die Stimmen der Kunden lauter, dass andere Dienstleister schneller und flexibler reagierten und einen smarteren Prozessfluss hätten. „Der Druck des Markts war enorm. Wir hatten echte Schmerzen“, so Rainer Göttmann. Er ließ mal wieder ein Change-Konzept ausarbeiten von der üblichen Managementrunde, es war solide, aber folgte dem alten Muster. Dann hatte er diesen einen mutigen Moment, ein Bauchgefühl. Er schlug vor, den Wandel radikal anzupacken. Im Dezember 2017 verkündete er der Belegschaft, dass sie sich fortan in sogenannten „Business Areas“ (BA) organisieren würden: autonome Teams, die ein bestimmtes Produkt oder eine Dienstleistung anbieten und eigenständig am Markt agieren. Die rund 70 Führungskräfte im Unternehmen sollten sich in den kommenden fünf Monaten in die Teams eingliedern und für sich eine neue Aufgabe finden. Nur ein kleiner Nukleus von etwa 16 Personen in Schlüsselrollen vom CEO über HR bis hin zu disziplinarischen Funktionen blieb bestehen – und zwar in fünf Serviceeinheiten, die bei Metafinanz als „Shops“ bezeichnet werden. Zwischen Schock und Chance „Mich hat die Neuausrichtung ziemlich überrascht“, sagt Jasmin Karbach. Die studierte Betriebswirtin war lange bei Accenture in der Beratung und fing vor rund sieben Jahren als Projektmanagerin bei Metafinanz an. Sie startete mit einer Führungsposition im Account-Management – mit Kunden, Mitarbeitenden und Budget. Der typische Karriereweg in der Beratung, hinterfragt habe sie das nicht. Zunehmende Erfahrung und Lust auf Führung kamen bei ihr zusammen. „2017 musste ich hier mit dem Umbruch praktisch noch einmal von vorne anfangen.“ Die IT-Beraterin saß mit ein paar Kollegen und Kolleginnen zusammen, und sie schnappten sich mutig ein neues Thema, das damals im Unternehmen noch nicht so attraktiv erschien. „Ich hatte keine Angst vor Veränderung, denn notfalls wäre ich selbstbewusst genug gewesen, andere Wege zu gehen.“ Evi Friedenberger erlebte die Umbruchphase anders. Die studierte Informatikerin fing 1997 bei Metafinanz als Softwareentwicklerin an. Sie durchlief den klassischen Entwicklungspfad von einer Projektleitung in diverse Führungsrollen. Kurz vor der Transformation hatte sie sich entschieden, dass sie zu weit vom Fachlichen weg war und wieder in Kundenprojekte zurückwollte. Als sich dann die Business Areas bildeten, wurde sie einem Team zugeordnet. Die ehemaligen Bereiche schnitt man nach Themen zu, sodass etwa 40 BAs dabei herauskamen. So hatten zunächst nicht alle die freie Wahl und auch die Teamleitungsposition wurde noch von oben bestimmt. „Für mich hat sich das zunächst gar nicht nach Agilität angefühlt, sondern nach totaler Hierarchie“, erinnert sie sich. In der Zeit waren aus ihrer Sicht die Rollen noch unklar. Eigentlich sollten alle Verantwortung übernehmen, und trotzdem gab es eine formale Führungsrolle, die den Prozess der Selbstorganisation erschwerte. Als der „Business Area Lead“ in Elternzeit ging, übernahm das Team die Führung. „Dann waren wir plötzlich selbstbestimmt und haben richtig an Fahrt aufgenommen.“ Manager in der Identitätskrise Auch für Rainer Göttmann selbst war die Transformation einschneidend. „In der hierarchischen Struktur war ich der Bestimmer, nun saß ich plötzlich vor einem leeren Schreibtisch“, sagt der CEO. Früher hatte er zwar Vertrauen gepredigt, aber immer alles kontrolliert. Nun waren die Alltagsthemen auf einmal weg. Vier Coachs hat er gebraucht, um mit der neuen Situation klarzukommen. Zum einen war da die Angst zu scheitern. Hätte die Transformation nicht funktioniert, hätte er als Erster gehen müssen. Zum anderen musste auch er seine Aufgaben neu definieren. „Ich habe die Verantwortung dafür, dass die Menschen hier auch morgen noch einen Job haben und wir ein nachhaltiges Unternehmen werden. Das heißt, ich arbeite nicht mehr im System, sondern am System“, sagt er heute. In der ersten Zeit beobachtete er, wie zahlreiche Führungskräfte in eine Art Schockstarre verfielen, nachdem ihnen plötzlich ihr Lebensziel „Karriere machen“ abhanden gekommen war. Manche waren sich sehr sicher, dass ihre Teams sie brauchten und dass es ohne sie nicht ginge. Als niemand bei ihnen anklopfte, war die Enttäuschung groß. Viele Beschäftigte legten ohne sie ganz engagiert los. Doch die Abwanderungswelle blieb aus – nur eine Handvoll Führungskräfte kündigte. „Die Neugierde war größer als der Fluchtreflex. Menschen möchten wissen, wie sich Dinge entwickeln“, fasst Göttmann die Situation zusammen. Und die Entwicklung ging weiter: Nach zwei Thomas Resch. „Können wir es uns leisten, Menschen zu gewinnen, die auf Titel Wert legen? Wir suchen Leute, die Selbstverantwortung und Teamwork lieben.“
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