Wirtschaft und Weiterbildung 1/2022

titelthema 20 wirtschaft + weiterbildung 01_2022 Ganz neu ist diese Entwicklung natürlich nicht: In den vergangenen 40 Jahren haben sich Personalentwickler und Personalentwicklerinnen intensiv Gedanken darüber gemacht, welche alternativen Karrierewege es neben der klassischen Linienlaufbahn geben kann. Denn für gute Fachleute gab es lange kaum attraktive Karrierechancen außerhalb der Hierarchie. Wer sichtbar Karriere machen, Anerkennung in den Organisationen und der Gesellschaft haben will, muss Führungskraft werden. Dabei weiß fast jeder über einen Fall zu berichten, in dem genau dieses Prinzip dazu geführt hat, dass eine gute Fachkraft verloren ging und eine schlechte Führungskraft dazukam. Der Klassiker: die Führungskarriere Trotzdem ist die Führungslaufbahn der Klassiker unter den Karrierewegen und gilt in einigen Unternehmen heute noch als Nonplusultra, wenn es um beruflichen Aufstieg geht. Der hohe Stellenwert der Fuhrungskarriere beruht auf dem Grundgedanken, dass eine zielgerichtete Steuerung von Unternehmen moglich ist. Eine Folge aus der starken Positionierung des Fuhrungskarrierepfads in vielen Unternehmen war der Funken Glamour, der damit einherging: Fuhrungskrafte wurden zu großen Firmenveranstaltungen eingeladen, sie genossen Ansehen, zu Fuhrungskraften wurde aufgeschaut, sie konnten hohe Gehalter einstreichen, sich mit Vielfliegerkarten und begehrten Statussymbolen schmücken. Nachdem die Fuhrungskarriere eben haufig der einzige Weg fur beruflichen Aufstieg war, ist die Motivation für den Aufstieg nicht immer die Mitarbeiterfuhrung, sondern zum Beispiel auch eine großere Entscheidungsfreiheit oder mehr Budget. Die Alternativen: Fach- und Projektleiterlaufbahnen Die Arbeitswelt hat sich allerdings massiv gewandelt. Heute wird – mehr denn je – von Mitarbeitenden ein hohes Maß an Flexibilität im Hinblick auf das Tätigkeitsgebiet, die organisatorische Eingliederung und den Einsatzort verlangt. Eine Führungskraft ist in vielen Fällen schon lange nicht mehr der ehemals beste Sachbearbeiter oder die beste Sachbearbeiterin. Zudem werden häufiger Aufgaben in Form von Projekten bearbeitet. Dadurch sind Positionen entstanden, die von hoch qualifizierten Mitarbeitenden wahrgenommen werden, die häufig viel Verantwortung übernehmen, aber keine disziplinarische Führungsverantwortung haben – und auch nicht entsprechend gewürdigt werden, weder in Form von Geld und Anreizen noch in der Außenwirkung hin zu anderen Unternehmen oder im gesellschaftlichen Ansehen. Immer mehr Unternehmen erkennen, dass sie Alternativen brauchen, um die wettbewerbsentscheidenden Mitarbeitenden zu gewinnen und zu halten. Sie greifen in diesem Zusammenhang die Möglichkeit der alternativen Laufbahnkonzepte auf. Eine Folge ist die Entstehung von Fach- und Projektleiterlaufbahnen. Mehr Selbstbestimmung: die proteische Karriere Schaut man auf heutige Einflussfaktoren, wird schnell klar, dass es eine weitere Notwendigkeit gibt, Karriere neu zu denken. Die zunehmende Individualisierung der Gesellschaft und die Bedürfnisse der sinnsuchenden heutigen New-WorkGeneration, die unter Umständen einen unverbindlicheren Deal im ArbeitgeberArbeitnehmer-Verhältnis sieht, stellen die Bedeutsamkeit und Selbstbestimmtheit von Karriere in den Vordergrund. Im letzten Kapitel seines Buchs „Careers in Organizations“ von 1976 hat Douglas Hall den Begriff „Proteische Karriere“ eingefuhrt. Seine Beschreibung der proteischen Karriere kann hier als Blaupause für den Ansatz einer „New Career“ gelten: „The protean career is a process which the person, not the organization, is managing. It consists all of the person’s varied experiences in education, training, work in several organizations, changes in occupational field, etc. The protean career is not what happens to the person in any one organization. The protean person’s own personal career choices and search for self-fulfillment are the unifying or integrative elements in his or her life. The criterion of success is internal (psychological success). Not external. In short, the protean career is shaped more by the individual than by the organization and may be redirected from time to time to meet the needs of the person.“ Was bedeutet dies nun konkret? Dem reinen Bildungsangebot und der klassischen Aufwartsbeforderung werden eine abnehmende Bedeutung zugeschrieben. Hall formuliert den Wandel der primar durch die Organisation gesteuerten Karriere hin zu einer konstruktivistischen, selbstgesteuerten Karriere. Diese Entwicklung wird gekennzeichnet sein durch einen Paradigmenwechsel, den er mit drei Aspekten kennzeichnet: • von der Arbeitsplatzsicherheit zur Beschaftigungssicherheit R 04. Umgangssprachlich ist mit Karriere im Deutschen der berufliche Aufstieg gemeint. 05. Im Englischen wird „Career“ eher als beruflicher Werdegang benutzt. 06. Künftig ist mit Karriere auch das Wachsen der persönlichen Kompetenzen gemeint.

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==