Wirtschaft und Weiterbildung 5/2022

54 wirtschaft + weiterbildung 05_2022 hot from outside Früher war man sicher, dass ein Mensch, der sich nicht auf seine Arbeit konzentrieren konnte, ein ganz individuelles Problem mit seiner Psyche hatte. Johann Hari betont in seinem Buch „Stolen Focus“, dass unsere Unfähigkeit, uns zu konzentrieren, inzwischen kein persönliches Versagen mehr ist. Die Fähigkeit des konzentrierten Arbeitens wurde uns „von mächtigen äußeren Kräften“, den sozialen Medien, gestohlen. Die sozialen Medien und allein schon die Existenz des Smartphones haben dazu geführt, dass die Kommunikation zwischen den Menschen eine einzige Ablenkung von der eigentlichen Arbeit darstellen und letztlich zu einer mentalen Erschöpfung führen. Besonders schädlich ist … • die Hyperconnectivity (man muss ständig online verfügbar sein) • die Real Time Communication (jeder erwartet ein sofortiges Antworten auf eingegangene Botschaften) • die Constant Distractions (die sozialen Medien bombardieren uns mit vordergründig interessanten Nachrichten und sorgen so für Ablenkung). Das Buch zeigt leicht verständlich die Mechanismen auf, die zu einer psychischen Verhaltensabhängigkeit gegenüber bestimmten digitalen Tools oder Apps geführt haben (Sucht nach sozialer Anerkennung). Hari selbst hilft sich dadurch, dass er sein Smartphone stundenweise in einem Tresor (mit Zeitschaltuhr) wegschließt. Außerdem hat er aufgehört, sich selbst Vorwürfe zu machen, wenn er nicht immer sofort auf Nachrichten reagiert. Er fragt sich öfter: „Was kann ich tun, um mal wieder Flow bei der Arbeit zu erleben?“ Außerdem verabschiedet er sich regelmäßig für ein paar Wochen von sozialen Medien wie Instagram, Twitter, Facebook, Youtube und Linkedin. Dafür geht er jeden Tag eine Stunde ohne Smartphone spazieren und beobachtet nur, wie seine Gedanken umherschweifen. Und natürlich hilft es seiner Konzentrationsfähigkeit sehr, dass er immer versucht, in der Nacht acht Stunden zu schlafen. Letztlich geht es aber nicht darum, alle sozialen Medien zu ignorieren, sondern ihren Sinn ganz individuell zu hinterfragen – ganz nach dem Motto „Welchem Lebensziel bringt mich mein XY-Account näher und wieviel Lebenszeit investiere ich in die Pflege dieses Accounts?“ Johann Hari (43) ist ein britischer Journalist und Autor populärer Fachbücher. Er arbeitet den aktuellen Stand der SocialMedia-Kritik unterhaltsam auf. Wer (angeregt durch diese Rezension) Seminare zum Thema konzipieren möchte, sollte zusätzlich aber auch auf die mehr wissenschaftlich orientierte Literatur zurückgreifen. An erster Stelle ist hier das Buch „Digitaler Minimalismus“ von Cal Newport zu nennen. Eine gute Ergänzung kommt zudem von Jaron Lanier, dessen Bestseller den provokanten Titel „Zehn Argumente für die sofortige Löschung Ihrer Social-Media-Konten“ trägt. Fokussierter arbeiten Besser ohne Social Media Johann Hari. Stolen Focus: Why You Can‘t Pay Attention, Bloomsbury Publishing, London 2022, 342 Seiten, 20 Euro Gudrun Porath Die freie Journalistin Gudrun Porath hat sich auf die zentralen Themen der Personalentwicklung und der Organisationsentwicklung spezialisiert. Sie ist E-LearningKolumnistin für www.haufe.de/personal und Mitglied des Programmbeirats „Corporate Digital Learning Experience“ der Messe „Zukunft Personal Europe“ in Köln. Außerdem schreibt sie regelmäßig für das „Personalmagazin“ und „Wirtschaft + Weiterbildung“. Bringt mich irgend ein Social-MediaAccount meinem Lebensziel näher? „ „

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