wirtschaft + weiterbildung 05_2022 19 den des Gehirns, das dann unterversorgt wird und mehr Fehler macht), Blut aus den Hautregionen abzieht, da Wunden dort rasch zum Verbluten führen (spürbar als kalte Hände und Füße), sich größer macht, um bedrohlicher zu wirken (Aufstellen der Haare durch Gänsehaut) und generell aufmerksamer ist (spürbar durch Nervosität). All diese körperlichen Prozesse werden bei Bedrohung durch die automatische Ausschüttung von Adrenalin und Cortisol in Millisekunden eingeleitet, sodass man rasch in der optimalen Verfassung für Kampf oder Flucht ist. Nach dem Kampf oder der Flucht werden Adrenalin und Cortisol wieder abgebaut und man erholt sich vom Stress. Entsprechend wenig schädlich ist diese Art von gelegentlichem Stress, da er sich auf einen eng begrenzten Zeitraum beschränkt. Er kann sogar als positiv gesehen werden, erlaubt er uns doch auch, uns zu fokussieren, zu konzentrieren und Spitzenleistungen zu liefern, wie das Beispiel der stressbedingten Nervosität einer Ballerina vor dem Auftritt zeigt. Dieselben Prozesse laufen auch beim Dauerstress ab, allerdings ohne Lücken zwischen den einzelnen Stressphasen, in denen sich der Körper wieder etwas erholen könnte. Der Körper befindet sich in einem permanenten Stresszustand und weiß nicht, wohin die Reise geht. Adrenalin und Cortisol werden weiter ausgeschüttet und halten den Körper im Kampf- oder Fluchtzustand gefangen. Er schaltet in einen Notbetrieb, der ihn noch am Leben erhält, aber keine Spitzenleistungen mehr hervorbringen kann. Manche mögen das Konzept des Notbetriebs von ihrem neuen Auto kennen, wenn der Bordcomputer aufgrund eines Motorproblems in eine Betriebsart wechselt, bei der zum Beispiel die Drehzahl deutlich begrenzt wird, um einen Motorenschaden zu verhindern. Damit kommt der Fahrer in der Regel noch in die Werkstatt, aber mehr ist nicht drin, und wer will schon permanent mit nur 60 oder 80 Kilometer pro Stunde Auto fahren? Aber genau dies tun die Menschen im Dauerstress: Sie verrichten mit wenig Ressourcen ihre Arbeit und tun das, was sie noch können, was nicht mehr viel und oft fehlerhaft ist – mit dem dann über mehrere Monate in der Praxis eingeübt und verfestigt. Nun sind viele Führungskräfte zum Glück noch nicht krank (wenngleich weniger leistungsfähig) und immer noch aktive Stützen des Unternehmens. Daher steht ihnen eine Psychotherapie nicht zur Verfügung – ungeachtet der Tatsache, dass sie im Fall der Fälle monatelang auf einen Therapieplatz warten müssten. Die Alternative dazu ist das kognitive Verhaltenscoaching, bei dem ein psychologisch ausgebildeter Coach mit den Betroffenen an Erfahrungen, Persönlichkeit, Werten, Glaubenssätzen, Fähigkeiten, Ängsten und Umgebungseinflüssen arbeitet. Hierbei empfiehlt sich das Engagement eines unternehmensexternen Coachs. Heute hat sich zwar das Konzept, dass Führungskräfte oder andere Unternehmensvertreter als interne Coachs wirken, etabliert, allerdings übersteigt die Arbeit an den Ursachen von Dauerstress den Umfang dessen, was diese Personen auch auf der Basis einer soliden CoachingAusbildung abdecken können. Einerseits erfordert dieses spezielle Coaching tiefe Kenntnisse und Erfahrung mit psychologischen Konzepten. Andererseits führt so ein Coaching nur zu Ergebnissen, wenn sich die Betroffenen öffnen und bereit sind, ihr Unterbewusstes zu erforschen und dabei auch Unangenehmes zu entdecken, das sie oft selbst noch gar nicht kennen. Dies wird im Zusammenspiel mit internen Coachs kaum möglich sein, da (trotz aller gegenteiligen Beteuerungen) die große Angst mitschwingt, dass es negative Folgen für die Karriere mit sich bringt, unter Dauerstress zu leiden. Der Vollständigkeit halber sei hier nochmals erwähnt, dass Nichtstun oder Aussitzen nach der Devise „So schlimm ist das doch gar nicht“ keine Optionen darstellen, da die menschliche und wirtschaftliche Sicht dagegen sprechen: Einerseits erfordert es die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, der Personalverantwortlichen und der Führungskräfte, etwas zu tun, damit es den Betroffenen körperlich und seelisch wieder besser geht und sie nicht an Burn-out erkranken (Dauerstress erzeugt schon Entzündungen im Körper der Betroffenen, die dann schwerwiegendere Erkrankungen bis hin zu Depression und Alzheimer auslösen können), Unterschied zum Autobeispiel, dass weit und breit keine Werkstatt in Sicht ist. 2. Dauerstress muss an den Ursachen bekämpft werden Normaler Stress geht von selbst wieder weg. Sein Auftreten und die Geschwindigkeit der Erholung können durch Maßnahmen, welche auf die Stresssymptome ausgerichtet sind, beeinflusst werden. Dazu zählt das Abstandnehmen von der stressigen Situation und die rasche seelische Entlastung mit Methoden wie Achtsamkeit, Meditation, Yoga, Body Scan, Muskelentspannung, wie sie zum Angebot des betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) gehören. Diese Behandlung von Stresssymptomen bringt bei Dauerstress nichts (mehr), da ein Kipppunkt überschritten wurde und die Adrenalin- und Cortisolproduktion nicht mehr gestoppt werden kann. Jetzt hilft nur noch, an den Ursachen des Stresses anzusetzen, wie es die Stressforschung schon seit längerem empfiehlt und womit die kognitive Verhaltenstherapie in der psychotherapeutischen Behandlung von an Burn-out und Depression erkrankten Menschen einige Erfolge feiert. Dabei werden die Stresssituationen analysiert, um die individuellen stresserzeugenden Ereignisse und die spezifischen Reaktionen zu verstehen. Die daraus abgeleiteten Veränderungen werden R Felix Müller ist kognitiver Verhaltenscoach mit 25 Jahren Führungser fahrung . Er hat Studienabschlüsse der Universität St. Gallen (BWL), der Duke University (MBA) und der Henley Business School (Coaching & Verhaltensänderung). Müller lebt in Erding bei München und hat sich auf das Thema Dauerstress spezialisiert: Da den Betroffenen die Ressourcen fehlen, können dauergestresste Menschen ohne Hilfe von außen ihre Situation nicht verändern. www.felix-mueller.coach AUTOR
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