wirtschaft + weiterbildung 03_2022 35 men arbeiten zu müssen. Bisher habe ich noch kein passendes Angebot gefunden“, erklärt Jessica Richter von Infineon dazu. Heike Baader-Kröger ist ebenfalls ein wenig unzufrieden mit der bestehenden Lernlösung, die der Mutterkonzern eingeführt hat. Damit spricht sie ein häufiges Problem an. „Die Personalentwicklung entscheidet selten über die Einführung von großen Softwaresystemen“, erklärt Markus Grunwald. „Sie muss dann damit zurechtkommen, was die Software für die Lernwelt bietet.“ Der Wunsch der meisten Personalentwickler sei es, eine zentrale Anlaufstelle für die Mitarbeitenden zum Lernen zu schaffen – etwa ein vorgeschaltetes Portal, über das man die passenden Formate individuell anbieten könne. Rusch spricht von einer „romantischen Vorstellung“, eine Lösung für alles zu finden. Das gebe es schlichtweg nicht. Doch den Unternehmen sei die Bedeutung von Employee Experience inzwischen deutlicher geworden. Hier stehe auch die Frage im Fokus, über welche Kanäle man die Mitarbeitenden sinnvoll erreichen könne. Das könnten E-Mails, Push-Nachrichten auf dem Handy oder Mitteilungen auf dem Desktop sein – „oder ein Bot sagt mir in MS Teams: Hör mal, ich sehe, du beschäftigst dich gerade mit dem Thema X, das Training Y wäre vielleicht etwas für dich.“ Der Zugriff auf kuratierte, öffentlich zugängliche Inhalte sei ebenso gerade ein wichtiges Thema. Am Ende müsse man immer fragen, was die Mitarbeitenden und Führungskräfte wollen – „nicht, was das Unternehmen will“, fügt Rusch an. Zukunft des digitalen Lernens Was bringt also die Zukunft für das digitale Lernen? „Bei den meisten ist das digitale Lernen abgehakt. Es ist gut aufgestellt“, meint Rusch. „Nun folgt die nächste Herausforderung: die Personalisierung. Digitales Lernen soll alle im Unternehmen erreichen mit dem individuell passenden Angebot.“ Dazu könnten künftig auch ein paar spannende Formate hinzukommen – zum Beispiel Leadership-Trainings mithilfe von VR-Brillen, die das komplette Eintauchen in die Trainingswelt und das Abschalten von der Umwelt ermöglichen. Heike Baader-Kröger sieht zwei große Herausforderungen für das digitale Lernen der Zukunft: „Wir müssen es schaffen, hybride Formate zu entwickeln. Das ist wirklich die Champions League.“ Zudem müsse das selbstgesteuerte Lernen in Bezug auf das Teilen von Erlerntem gestärkt werden. „Wir haben jahrelang gepredigt, wie wichtig 70-20-10 und das selbstverantwortliche Lernen ist. Jetzt haben es die Leute endlich verstanden.“ Für die Personalentwicklung bedeute das, weit über Trainingskataloge hinauszudenken. „Es geht um das Mindset der Mitarbeitenden und Führungskräfte“, betont sie. „Das Thema ‚Konnektivität‘ wird wichtiger – nicht nur im Sinne von Vernetzen und sozial Austauschen“, stimmt Grunwald zu. „Es geht darum, Formate zu finden, wo man team- und bereichsübergreifend konnektiert ist. Wir brauchen Zeit auf der Agenda zum Austausch, für Humor und den Aufbau der Bindung untereinander – die haben viele Mitarbeitenden im Homeoffice verloren.“ Jetzt sei allerdings auch die Zeit, um kritisch zu hinterfragen, was während der Pandemie auf der Strecke geblieben sei, betont Jessica Richter: „Wir waren superproduktiv, aber waren wir auch superinnovativ in den vergangenen Jahren?“ Um echte Innovation hervorzubringen, brauche es auch den persönlichen Austausch vor Ort. „Ich denke, wir werden in ein bis zwei Jahren sehen, dass uns hier doch etwas gefehlt hat. Das müssen wir nun im Auge behalten und beim Trainingsprogramm berücksichtigen.“ Kristina Enderle da Silva, Reiner Straub Branchentalk. Die Gesprächsrunde zur Zukunft des digitalen Lernens haben Kristina Enderle da Silva und Reiner Straub online moderiert. „ Wir waren in der Pandemie superproduktiv, aber waren wir auch superinnovativ? Ich denke, wir werden in ein bis zwei Jahren sehen, dass uns hier doch etwas gefehlt hat.“ Jessica Richter Foto: Michael Bamberger
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