personal- und organisationsentwicklung 30 wirtschaft + weiterbildung 03_2022 teilnehmer sogenannte „Digital Natives“ mit einer hohen Affinität zur Digitaltechnik, sie übernahmen zunehmend auch Entscheiderpositionen in den Unternehmen. Dies führte laut Machwürth aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung nicht selten zu der anachronistischen Situation, dass im Alltag zwar alle für die Leistungserbringung relevanten Prozesse online abliefen – auch die Koordination der Zusammenarbeit im Projekt. In der betrieblichen Weiterbildung kam die moderne Kommunikationstechnik aber nicht zum Einsatz. Und während die Mitarbeiter zum Beispiel privat schon längst selbstverständlich neben Selbstlern-Apps beispielsweise zum Sprachenlernen, auch sogenannte Coaching-Apps beispielsweise zum Joggen, Abnehmen und Entspannen nutzten, lautete im Business-Bereich noch weitgehend das Credo: Ein Coaching setzt ein persönliches Treffen von Coach und Coachee voraus. Diesen Widerspruch spürten auch die Mitarbeiter, was auch das Image der firmeninternen Weiterbildung negativ beeinflusste und zum Beispiel die Wirtschaftspsychologin Sabine Prohaska zum Fazit veranlasst: „Der Digitalisierungsprozess in der Wirtschaft und Gesellschaft ging an der Weiterbildung und Personalentwicklung in den Unternehmen über viele Jahre fast spurlos vorbei.“ Corona war ein unangenehmer „Weckruf“ Das änderte sich erst mit Corona, denn: In den Pandemiezeiten waren Präsenzseminare nicht oder nur bedingt möglich. Deshalb wurde in vielen Betrieben das Onlinelernen forciert. Das Lernen mit Lern- und Videoplattformen, Foren und Kollaborationstools wurde anfangs aber oft noch als ein minderwertiger Ersatz für das Seminarlernen gesehen. Erst allmählich dämmerte den Verantwortlichen, so die Beraterin, „dass das digitale Lernen eine überfällige Bereicherung der Weiterbildung darstellt – unter anderem, weil sich bei ihm der Fokus weg vom Trainer hin zu den Teilnehmern verschiebt. „Sie werden viel stärker als beim klassischen Lernen dazu animiert, ihre Lernprozesse selbst zu organisieren und zu gestalten.“ Zudem dämmerte den Weiterbildungsverantwortlichen mit der Zeit: Die Digitaltechnik ermöglicht ganz neue Weiterbildungsdesigns. So werden laut Klaus Doll heute von den Unternehmen zum Beispiel statt der gewohnten Tagesseminare verstärkt auch 1,5- bis 2-stündige Online-Nuggets nachgefragt, denn: „Solche kurzen Lerneinheiten lassen sich gut in den Arbeitsalltag integrieren.“ Verstärkt nachgefragt werden Joachim Simon zufolge auch „hybride Weiterbildungen“, bei denen die Teilnehmer mal in Präsenz- und mal in Live-Online-Veranstaltungen sowie mal im Plenum und mal alleine oder in Kleingruppen lernen und arbeiten. „Sie machen aus dem Einmal-EventSeminar einen Lernprozess, der meist nachhaltiger wirkt.“ Ein weiterer Vorteil des Onlinelernens laut Hans-Peter Machwürth ist: Mit ihm sind neue Personengruppen für die Weiterbildung erreichbar – so zum Beispiel • Mitarbeiter, die nicht außer Haus übernachten wollen oder können, und • Mitarbeiter, die nicht ein, zwei Tage im Betrieb fehlen können oder möchten. Her mit der neuen Lernkultur! In den zurückliegenden 1,5 Jahren haben denn auch viele Unternehmen die technische Infrastruktur aufgebaut, die für ein Onlinelernen oder hybrides Lernen, das das Onlinelernen mit einem Präsenzlernen verknüpft, erforderlich ist. Die nötige Technik zu implementieren, ist aber nur der erste Schritt, um in Unternehmen eine neue Lernkultur zu etablieren, betont Prohaska, denn: „E-Learning ist nicht nur ein technischer Prozess. Vielmehr gilt es, wenn die Mitarbeiter real in ihrer Entwicklung gefördert werden sollen, auch zahlreiche soziale und emotionale Aspekte zu beachten.“ Deshalb empfiehlt sie Unternehmen zum Beispiel beim Aufbau einer neuen Lerninfrastruktur und Entwickeln neuer Lerndesigns, stets zu reflektieren: • Wer soll diese nutzen? • Welche Kompetenzen und Eigenschaften sind hierfür nötig? • Inwieweit sind diese bei den potenziellen „Usern“ bereits vorhanden beziehungsweise müssen sie bei ihnen erst noch entwickelt werden? Wenn in den Unternehmen eine Lernkultur entstehen soll, bei der das Lernen ein integraler Arbeitsbestandteil ist und sich die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen die nötigen Kompetenzen weitgehend eigenverantwortlich aneignen, müssen aber unbedingt auch gewisse Rahmenbedingungen gegeben sein. Dann sollten zum Beispiel Lernzeiten von den Unternehmen auch als solche anerkannt, zur Verfügung gestellt und bezahlt werden – und zwar unabhängig davon, ob die Mitarbeiter im Betrieb oder Homeoffice arbeiten. Dies ist in vielen Unternehmen heute noch nicht der Fall. Ronja Siemens R Klaus Doll. Schneller als gedacht auf Webinare und Onlinemeetings umgestellt.
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